Rede von Erhard Grundl Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenengesetz

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

25.06.2021

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Präsidentin! Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne die Frau Bundeskanzlerin zitieren:

Ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus über Europa und die Welt gebrachten Terror, ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus begangenen Zivilisationsbruch der Shoah und ohne den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg wäre es nicht dazu gekommen, dass zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach Millionen Deutsche Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung erleiden mussten.

(Enrico Komning [AfD]: Dadurch wird die Vertreibung aber nicht rechtmäßig!)

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Vertreibungsgeschichte der Deutschen in ihrem historischen Kontext von Ursache und Folgen eingebettet und nicht isoliert dargestellt wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Mein Vater wurde am 18. September 1925 in Wölschko, einem kleinen südböhmischen Dorf, geboren. Mit 17 Jahren wurde er in den Kriegsdienst eingezogen, und mit 19 Jahren kam er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Er und seine Familie wurden nach dem Krieg aus ihrer Heimat vertrieben. Nicht alle überlebten diese Vertreibung. Ich stehe also vor Ihnen als ein Vertreter der ersten Generation nach den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Gerade für meine Generation ist es unerlässlich, jeder Form des Revanchismus – wie wir ihn hier schon gehört haben – auch heute noch tagtäglich eine klare Absage zu erteilen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Für meine Generation ist es ebenso unerlässlich, all denen zu danken, die – meistens in Privatinitiativen – in den Jahrzehnten seit Kriegsende unermüdlich und gegen viele Widerstände für eine tatsächliche Aussöhnung zwischen den einstigen Feinden gekämpft haben und sie schlussendlich auch erreichen konnten.

Millionen Deutsche flohen zum Ende des Zweiten Weltkrieges und danach aus Ost- und Südosteuropa oder wurden vertrieben. Angekommen in Frieden, Freiheit, Wohlstand sind viele von ihnen lange nicht. Erwünscht und willkommen geheißen waren die Vertriebenen in der neuen, oft kalten Heimat, wie Andreas Kossert schreibt, vielfach nicht. „Die meisten Deutschen wollten das nicht sehen, nicht hören, nicht wissen“, schreibt Kossert. Eine kollektive Erfahrung von Flucht und Vertreibung gibt es in Deutschland heute, da nur noch wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen leben, nicht mehr. Umso wichtiger ist die Rolle eines solchen Dokumentationszentrums, und umso größer sind die Erwartungen an das Dokumentationszentrum. Es muss dort gelingen, Schuld und Leid gleichermaßen zu thematisieren.

Natürlich muss der Blick in diesem Zentrum auch auf Flucht und Vertreibung in unserer Gegenwart gerichtet werden. Trotz des 70-jährigen Bestehens der Genfer Flüchtlingskonvention werden die in ihr verbrieften Rechte zunehmend ausgehöhlt. Die flüchtlingspolitische Bilanz der Bundesregierung und der europäischen Mitgliedstaaten fällt beschämend aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE])

Die europäischen Mitgliedstaaten gestalten ihre Geflüchtetenpolitik immer restriktiver, und das ist eine Schande.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, bereits 2019 haben wir die Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenengesetz hier debattiert. Damals schloss ich meine Rede so:

Wenn wir heute über Flucht und Vertreibung im Rahmen der Kulturförderung nach dem Bundesvertriebenengesetz reden, dann dürfen wir keinen Augenblick vergessen: Hier und heute fliehen Menschen vor Gewalt und Zerstörung; sie fliehen unter Lebensgefahr und in eine ungewisse Zukunft. Niemand tut das leichten Herzens.

„Das Mindeste, was wir als Deutsche tun können, ist es“, sie „aus Seenot zu retten“, sie aus menschenunwürdigen Lagern herauszuholen, ihnen Schutz und Sicherheit anzubieten. „Das“, meine Damen und Herren, „ist kein Almosen, sondern unsere Pflicht als Menschen.“ – Daran hat sich nichts geändert.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Dr. Bernd Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])