Rede von Omid Nouripour Lage im Nahen und Mittleren Osten

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15.01.2020

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da in den letzten Tagen so wenig über dieses Land gesprochen wurde, möchte ich gern über den Irak sprechen; denn die Menschen im Irak leiden. Sie leiden schon so lange. Sie haben unter Saddam Hussein, einem Massenmörder, 24 Jahre lang gelitten. Sie haben acht Jahre lang im iranisch-irakischen Krieg mit über 1 Million Toten auf beiden Seiten gelitten. Sie haben im Golfkrieg, der auf die Besetzung Kuwaits folgte, gelitten. Sie haben unter den Sanktionen, die danach verhängt wurden, gelitten. Es gab in den 90er-Jahren über 1 Million Tote im Irak aufgrund der Sanktionen, die gegen das Land verhängt worden sind.

Zwischen 2003 und 2011, während der amerikanischen Präsenz, sind 600 000 Menschen im Irak ums Leben gekommen, und dann kamen auch noch ISIS und der massive iranische Einfluss dazu. Schiiten, Sunniten, Kurden – alle haben gelitten. Bei den Kurden kommt hinzu, dass sie beispielsweise massiv vom Einsatz von Giftgas betroffen waren. In Halabdscha gab es den ersten Einsatz von Massenvernichtungswaffen nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Die Menschen im Irak leiden. Deshalb gehen sie seit Wochen und Monaten gegen Korruption, gegen Missmanagement und gegen Einflussnahme von außen, gegen den iranischen Einfluss auf die Straße. Sie kämpfen um Würde, so wie es die Menschen im Iran auf den Straßen auch tun.

Die Menschen im Iran gehen auch auf die Straße, um für ihr Anrecht auf Trauerarbeit zu kämpfen. Wenn ein General stirbt, wird eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Wenn 176 Menschen als zivile Passagiere abgeschossen werden, wird Tränengas gegen diejenigen eingesetzt, die auf die Straße gehen. Das ist ein Kampf um Würde, und dieser Kampf gehört unterstützt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber der Kampf der Menschen im Irak gehört genauso unterstützt, und das geht leider viel zu oft unter. Die vielen Demonstrationen, die es gegen den Iran gegeben hat, sind zu Ende. Sie sind an einem Freitag, am 3. Januar, zu Ende gegangen, weil zahlreiche Leute sich jetzt auf die andere Seite geschlagen haben. Einer der Anführer der Proteste hat dieser Tage gesagt: Der Protest gegen den Iran hat keinen Vorrang mehr, sondern der Widerstand gegen die Amerikaner. – Trotzdem gehen in Basra dieser Tage wieder Menschen auf die Straße – nicht gegen den Iran, aber gegen die eigene Regierung. Auch das zeugt von sehr großem Mut, der aus unserer Sicht dringend belobigt gehört und der ganz dringend unsere Solidarität und Aufmerksamkeit braucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Menschen im Irak leiden auch darunter, dass durch diese völkerrechtswidrige und massiv unüberlegte Aktion der Amerikaner die schiitische Einheitsfront wieder da ist und die Leute, die auf die Straße gehen, als Agenten des Auslands delegitimiert. Diese Einheitsfront wird dazu führen, dass ISIS, ursprünglich eine irakische Organisation, jetzt wieder Zulauf haben wird. Diese schiitische Einheitsfront hat auch immer wieder auf friedliche Demonstranten geschossen, die in Anbar, in Falludscha, in Ramadi auf die Straße gegangen sind. Wir haben jetzt 800 000 schiitische Milizen unter Waffen, die weiterhin Rache schwören, auch für ihren eigenen Anführer al-Muhandis. Das heißt, die Eskalationsspirale wird von diesen Leuten noch weiter gedreht, auch auf Kosten der Menschen, die dort leiden.

Die Sicherheitskräfte des Landes waren in den letzten Jahren kein Teil der Lösung, weil die Befehlskette nicht stimmt. Deshalb wäre es notwendig, dass man daran arbeitet, und das ist eine politische Aufgabe. Wenn ich jetzt die Reden hier höre, die mir erklären, wie denn die Bundeswehr dort ISIS bekämpft, dann verstehe ich eine Sache nicht: Wir bilden Soldatinnen und Soldaten aus, die aber in der Befehlskette am Ende des Tages gegen die Sunniten eingesetzt werden. Deshalb: Hören Sie um Gottes willen auf, eine Aufgabe der Politik der Bundeswehr zu übertragen, die die Bundeswehr nicht leisten kann!

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)

Das ist schlicht ein –

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Jetzt müssen Sie Ihren letzten Satz sagen.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– Sichverstecken hinter der Bundeswehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir brauchen weit mehr Beiträge aus der Politik, weit mehr Engagement, weit mehr Investitionen politischer Art im Irak, damit die Reform des Sicherheitssektors dort vorangetrieben werden kann. Wir sollten nicht immer so tun, als könnte die Bundeswehr diese Probleme, die nicht im Sicherheitsbereich liegen, sondern in der Politik des Landes, lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber.

(Beifall bei der CDU/CSU)