Rede von Renate Künast Lebensmittelspenden

Renate Künast MdB
19.04.2023

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 153,5 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in der Europäischen Union pro Jahr verschwendet, und Frau Stumpp sagt: Lassen Sie uns eine Kompetenzstelle einrichten.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Um das, was ich gerade und bisher so gehört habe, einmal zu komprimieren: Das war schwach, Frau Stumpp. Wenn ich auch zugebe: Sie haben – ich wiederhole – ein paar gute Vorschläge in Ihrem Antrag. An denen arbeiten wir oder die EU aber längst.

(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Wie lange? – Christina Stumpp [CDU/CSU]: Wann ist es so weit?)

– Wer hat denn jetzt gerufen: „Wie lange?“? – Ah, Herr Vogt. Herr Vogt, wir werden weniger als 16 Jahre dafür brauchen.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vieles davon machen wir in dieser Legislaturperiode. Was wir in dieser nicht schaffen, machen wir im ersten Jahr der nächsten. Das war, glaube ich, deutlich genug, meine Damen und Herren.

Frau Stumpp, noch einen Satz: Und dann kommen Sie mit der Ironie, zu sagen, den Vorschlag, Verfahren wegen Containern einzustellen, hätten die Bundesländer lustig gefunden. Ich weiß gar nicht, was daran lustig sein soll. Das ist im Übrigen auch eine Entspannungsmaßnahme für die Staatsanwaltschaften. Wenn man sagen würde: „Bis zu einer bestimmten Menge stellen wir Verfahren wegen Containern immer ein, nach den Richtlinien in Strafsachen“, wäre das schon ein erster Schritt. Ich sage das, obwohl ich mir zusätzlich wünsche, dass das Bundesjustizministerium das Containern rechtlich weiter regelt. Das ist aber nicht so einfach, meine Damen und Herren. Aber da müssen wir ran. Sich nur lustig zu machen, das kann nicht sein.

(Christina Stumpp [CDU/CSU]: Wissen Sie, wie viele Fälle das sind?)

Einerseits weinen Sie Krokodilstränen über die vielen Lebensmittel, die verschwendet werden – für deren unnütze Herstellung wurden übrigens auch viele Tonnen CO2 ausgestoßen, insbesondere wenn Pestizide im Spiel waren, deren Herstellung auch energieintensiv ist –, beklagen, dass das alles verplempert wird, während woanders Menschen hungern. Andererseits machen Sie sich über den Vorschlag, Verfahren wegen Containern einzustellen, lustig. Ach Gott, angemessen ist das nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich sage einmal: Wenn wir anfangen wollen, etwas zu verändern, sollten wir uns mit dem Ernährungssystem überhaupt beschäftigen und mit der Überproduktion. Wir importieren Erdbeeren und Tomaten im Winter, Papaya, Avocados von wo immer her, meine Damen und Herren. Bis zur letzten Sekunde Öffnungszeit muss im Laden alles vorhanden sein. Wir gehen nicht in den Laden und sagen: „Ich überlege, es gibt jetzt dies und jenes, danach koche ich“, sondern wir erwarten, dass alles da ist. Meine Damen und Herren, das ist der erste Fehler. Warum ist das der erste Fehler? Weil nur die Überproduktion, dieses Vorhandensein von allem immer es überhaupt ermöglicht, dass wir am Ende aus dem Laden so viel raustragen, dass wir nachher etwas wegwerfen. Verstehen Sie die Denkaufgabe? Wenn wir doch wissen, dass rechnerisch am meisten weggeworfen in den Privathaushalten wird – weil nämlich vorne die Ideologie herrscht, dass alles immer verfügbar sein müsse –, dann schließt sich der Kreis. Darüber müssen wir bitte schön nachdenken, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Unterstellen Sie dem Verbraucher, dass er zu dumm ist, einkaufen?)

– Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien Sie einkaufen, Kollege Stegemann, und dazu werde ich mich auch nicht äußern.

(Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Nach vernünftigen Kriterien!)

Ich sage Ihnen: Weg von der Idee des ewigen Wachstums von allem! 15 Prozent der Klimagase kommen aus dem Bereich der Landwirtschaft. Auch da müssen wir rangehen, meine Damen und Herren. Weg von der Überproduktion und – das muss ich sehr grundsätzlich sagen – weg von Fertiglebensmitteln; sie rufen noch ganz andere Gesundheitsprobleme hervor.

Natürlich Digitalisierung, Herr Felser. Aber ich sage einmal: Wenn zu viel produziert wurde und alles immer da ist, hilft Digitalisierung auch nicht weiter – wobei Digitalisierung von jedem guten Unternehmen und jedem Supermarkt längst genutzt wird, weil sie nämlich wissen müssen, wie viel sie bestellen sollen, weil sie eine grobe Ahnung haben müssen, was auch abverkauft wird. Das nennt man Begrenzung der Betriebskosten; das macht man so, logischerweise.

(Beifall der Abg. Carina Konrad [FDP] – Zuruf von der AfD: Und davon haben Sie Ahnung?)

Wir müssen weg vom Schönheitscontest für Obst und Gemüse, meine Damen und Herren. Nur weil eine Gurke schief gewachsen ist, schmeckt sie noch nicht schlechter.

Wir wissen: Lebensmittelverschwendung ist auch Ressourcenverschwendung.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Eine Entscheidung des Käufers!)

Zum Ende will ich darauf eingehen, was die konkreteren To-do-Maßnahmen sind. Andere haben schon darauf hingewiesen; sie hatten ja einige Zeit.

Der erste Punkt ist das Containern. Ich finde, die Länder hätten die Richtlinien in Strafsachen ändern können, und Herr Buschmann soll sich überlegen, wie man es strafrechtlich regelt.

Zweitens. Wir müssen – und daran wird gearbeitet – auch vor dem Hintergrund des Ziels der Kreislaufwirtschaft, die wir national und europäisch geregelt haben, sagen: Zur Kreislaufwirtschaft gehört als erste Stufe, dass jedes Unternehmen in allen Bereichen, so auch jedes Unternehmen im Lebensmittelbereich, Abfälle vermeidet. Dabei sollten wir sie auch vom Management her unterstützen. Es wäre eine Berichtspflicht einzuführen: Was tut das Management, um Abfälle zu vermeiden? Das ist übrigens auch eine Hilfestellung an der Stelle. Die Europäische Union plant, im Rahmen der Abfallrahmenrichtlinie – das betrifft dann aber das BMUV und nicht das BMEL – branchenspezifisch weitere Vorgaben zu machen. Ich halte das für richtig.

Wir wollen – das haben wir immer gefordert – auch haftungsrechtliche Fragen klären. Dabei geht es nicht nur um die Haftung des Lebensmittelhandels, wenn er verschenkt, sondern auch um die Haftung der sozialen Einrichtungen, meine Damen und Herren. Wir wollen – das BMEL will – in dem Rahmen der Gespräche, die jetzt stattfinden, eine Zielvereinbarung mit dem Handel abschließen, dass der Handel sagt: Ja, wir kommen einer Angebotspflicht gegenüber sozialen Einrichtungen nach. – Finde ich gut, wenn wir das als Zielvereinbarung hinbekommen. Aber das Haftungsproblem ist noch nicht gelöst, weil das EU-Recht uns im Augenblick scheinbar nicht erlaubt, die sozialen Einrichtungen dann haftungsrechtlich freizustellen.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das ist das erste Mal, dass Sie etwas Richtiges sagen!)

Aber wir arbeiten daran.

Wir arbeiten auch daran, die Besteuerung weiterzuentwickeln.

(Zuruf von der AfD)

Wir arbeiten – mit diesem Thema hatte, glaube ich, Frau Klöckner noch angefangen – daran, das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht mehr nur nach den Interessen der Hersteller zu machen, sondern es im Interesse der Kunden zu verändern; „Oft länger gut“ ist hier schon genannt worden.

Ich kann Ihnen also an dieser Stelle entsprechend den Nachhaltigkeitszielen der UN sagen: Wir arbeiten umfassend, mit vielen Maßnahmen, bei allem, was geht, darauf hin, dass weniger Lebensmittelabfälle entstehen, und zwar vom ersten Tag an.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Christina Stumpp [CDU/CSU]: Dann legen Sie mal los!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Ina Latendorf das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)