Rede von Lamya Kaddor Linksextremismus
Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich fange heute mal mit einem persönlichen Einstieg an. Ich bin ja regelmäßig Zielscheibe von Extremisten, entweder Rechtsextremisten oder Islamisten; mit Linksextremisten hatte ich noch nicht das Vergnügen. Heute erschien eine Agenturmeldung, die Sie vielleicht auch wahrgenommen haben. Da ging es darum, dass wahrscheinlich Linksextremisten für das Lösen und Lockern von Radmuttern an Polizeiwagen, zum Teil sogar an privaten Pkws von Polizeibeamten und ‑beamtinnen, verantwortlich sind.
(Enrico Komning [AfD]: Das kennen wir schon! Bei uns brennen sie die Autos ab!)
Leider ist das bei mir auch zweimal passiert. Deshalb weiß ich sehr genau, was das bedeutet. Ich bin der Polizei an dieser Stelle sehr dankbar, dass sie alles gibt, um uns vor genau diesen Extremistinnen und Extremisten zu schützen, egal woher.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Juristisch, politisch, ethisch ist die Angelegenheit klar. Ich wiederhole das jetzt bewusst – ein Zitat des zuständigen Richters, der im O-Ton von „Gewalt“ und „Selbstjustiz“ und übrigens selbst von „achtenswerten“ Motiven sprach; gucken Sie sich das Urteil mal an –:
(Enrico Komning [AfD]: Ja, schlimm genug! – Martin Hess [AfD]: Umso schlimmer!)
Selbstjustiz, Übergriffe, gewalttätige Ausschreitungen bei Demos sind in unserem Rechtsstaat durch nichts zu rechtfertigen – auch nicht durch vermeintlich legitime Motive, meine Damen und Herren.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: „Vermeintlich legitim“!)
Der Linksextremismusfall um Lina E. hat aber auch eine parteiliche Dimension, und die ist nicht so klar. Hierbei rückt das konservative Politikspektrum unseres Landes in den Fokus. So wie vielen linken und liberalen Kräften immer wieder vorgeworfen wird, sie würden gegenüber Linksextremismus oder Islamismus zu nachlässig sein, so gilt das umgekehrt für konservative Kräfte beim Rechtsextremismus.
Diesem Hinweis kommt eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesrepublik wurde seit ihrer Gründung überwiegend von konservativen Kräften regiert. Seit Jahrzehnten war zu beobachten, dass rechtsextreme Motive entweder nicht gesehen wurden oder gesehen werden wollten. Man denke an das Bombenattentat auf das Münchener Oktoberfest 1980: Erst 40 Jahre – 40 Jahre! – später wurde es als rechtsextremistisch motiviert anerkannt. Man denke an Kurt Biedenkopfs Rechtsextremismusanalyse im Jahr 2000 oder an den Anschlag aufs Olympia-Einkaufszentrum 2016.
Aktuell ist bekanntlich keine konservative Regierung ins Amt gewählt worden. Umso ambitionierter werden jene, die gerne wieder zum Alten zurückkehren wollen. Das sieht man beispielsweise an den Kampagnen, die gegen unsere Regierung gefahren werden. Manches an Kritik mag berechtigt sein. Vieles schießt aber über das Ziel hinaus; man denke nur an Herrn Aiwanger.
Auch Linksextremisten wollen die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung beseitigen. Sie sind eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der Rechtsstaat darf den Linksextremismus nicht unterschätzen. Diese Regierung tut das auch nicht, aber sie hält sich schlichtweg an Fakten.
Am Ende sind es nicht wir Politikerinnen und Politiker, die festlegen können, was die größte Gefahr ist, sondern es sind unsere Sicherheitsbehörden, auf deren Analysen und Lagebilder wir angewiesen sind. Diese ergeben ein ziemlich eindeutiges Bild: Die besondere Aufmerksamkeit gerade beim Islamismus ist demnach seit zwei Jahrzehnten völlig berechtigt. Deutschland und seine Verbündeten wurden massiv angegriffen – mit zahlreichen Todesopfern. Wir wurden und werden weiterhin von Dschihadisten bedroht. Aktuell stellt jedoch der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie dar, und deshalb muss sich die Ampel darauf konzentrieren.
Die gleiche Gefahr für unser Land sehen unsere Sicherheitsbehörden beim Linksextremismus nicht. Den harten Kern linksextremistischer Gewalttäter bezifferte das LKA Sachsen auf etwa 150 Personen. Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Sachsen belief sich im Jahr 2021 auf insgesamt 4 350 Personen. Davon werden in Sachsen circa 1 550 Personen als gewaltorientiert eingestuft. Diese Zahlen sprechen doch eigentlich für sich. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, und danach müssen wir handeln.
Das bedeutet nicht, dass wir brutale Überfälle von Linksextremisten auf andere Menschen einfach hinnehmen würden. Im Fall Lina E. hat das bewusste Wegschauen beim rechten Terror bei gleichzeitig forciertem Kampf gegen links dazu beigetragen, in Teilen der Gesellschaft eine aufgeheizte, mobilisierende Stimmung aufkommen zu lassen.
Nichts und niemand – das sage ich jetzt noch mal deutlich – kann Übergriffe auf Menschen rechtfertigen. Allerdings sollten wir uns auch nicht wundern, wenn sich in einem Bundesland wie Sachsen, das so massiv mit rechtsradikalen Tendenzen in Gesellschaft und Politik zu tun hat, ein anderes politisches Spektrum ebenfalls weiter zu radikalisieren beginnt.
(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Verschämte Rechtfertigung!)
Wenn wir in unserer Demokratie sicher zusammenleben wollen, müssen wir ohne ideologische Verblendung alle Formen des Extremismus gleichsam bekämpfen. Eine freie, offene Gesellschaft kann nur ohne extremistische Kräfte gedeihen, egal aus welchem politischen und gesellschaftlichen Lager sie kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es gibt keinen besseren oder schlechteren Extremismus, meine Damen und Herren.
Aber jede Form muss angemessen angegangen werden, in Prävention und auch Deradikalisierung. Selbstverständlich lehnen wir daher den AfD-Antrag ab. Am Ende führen alle Überlegungen nur zu einem Ergebnis: Jedes politische Lager sollte selbstkritisch fragen, an welcher Stelle die Vorwürfe zutreffend sind. Das Auf-die-anderen-Zeigen – „der hat recht“ oder „die hat unrecht“ – hilft niemandem weiter. Vor allem schützt es nicht unsere Bürgerinnen und Bürger.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Frau Kollegin Kaddor. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Martina Renner, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)