Rede von Lisa Badum Aktuelle Stunde Fridays-for-Future

15.03.2019

Lisa Badum (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich erwarte von euch im Bundestag, dass ihr die Verantwortung wahrnehmt, die ihr für unsere Generation habt. Unsere Zukunft liegt in euren Händen.

Ich zitiere einen der Sprecher der Fridays-for-Future-Bewegung nicht, weil sie eine Fürsprecherin brauchen – sie haben heute laut, klar und deutlich gesprochen, mit über 300 000 Menschen in ganz Deutschland –,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Kinder! Kinderkreuzzug! – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Sie haben schulfrei!)

sondern ich zitiere diesen Satz, weil er zeigt, worum es hier geht. Es geht nicht um Parteipolitik, sondern es geht darum, ob wir Abgeordnete eine Antwort auf diese globale Bewegung „Fridays for Future“ finden, ob wir lernfähig sind, ob wir bereit sind, eine Politik für die Zukunft zu machen. Darum geht es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Angesichts mancher Reaktionen auf die Fridays-for-Future-Bewegung frage ich mich das umso mehr.

Wir reden hier von der globalen Jugendbewegung, die mit Digitalisierung und Globalisierung aufgewachsen ist. Das ist kein Neuland für sie. Sie sind darin aufgewachsen, und sie wollen dieses Land gestalten. Es ist ihr Land, es ist ihre Welt, und sie werden weitaus länger in dieser Welt sein als viele von uns hier in diesem Raum. Und da stellen wir Politikerinnen und Politiker uns hin und sagen: Denkt doch über Bezahlbarkeit, Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit nach! Oder: Das Thema ist zu komplex; fragt doch mal einen Experten!

Wissen Sie eigentlich, wie daneben diese Haltung ist? Als würden Wissen und Macht immer noch anhand von Alters- und Geschlechtergrenzen verteilt. Diese Reaktionen zeigen das Gegenteil von Expertentum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber auch Lob, wie wir es jetzt auch von der Regierungsbank wieder gehört haben, kann vergiftet sein: Wie toll, dass ihr euch politisch engagiert! – So können wir uns gegenseitig auf die Schultern klopfen, für unsere putzige politische Nachwuchsgeneration.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das macht ihr doch genauso! Das macht ihr doch ganz genauso! Ihr macht genau das Gleiche, die ganze Zeit, und nichts anderes!)

Aber das wird der Größenordnung dieser Bewegung und der Größenordnung unserer Versäumnisse in den letzten Jahrzehnten nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Lob – zumindest wenn es ein selbstzufriedenes Lob ist – ist keine Grundlage für einen Austausch auf Augenhöhe und für gegenseitiges Lernen. Wenn wir von gegenseitigem Lernen sprechen, dann möchte ich auch auf Greta Thunberg zu sprechen kommen, und zwar in ganz anderer Weise, als es hier unverschämterweise passiert ist.

Greta Thunberg ist die Initiatorin und Herz und Kopf von Fridays for Future. Ja, sie redet offen über ihr Asperger-­Syndrom. Sie sagt, dass ihr Asperger-Syndrom einer der Treiber für ihr politisches Engagement war, weil sie die Welt anders sieht als andere, weil sie sich weigert, soziale Spiele mitzuspielen, weil sie ihre Zeit für Machtspiele nicht verschwenden will. Es schmerzt sie, wenn es einen Widerspruch gibt zwischen dem, was Menschen sagen, und dem, was Menschen tun, dem, was geboten wäre, und dem, was getan wird. Wenn sie einmal ein Ziel hat, dann ist sie von diesem Ziel nicht mehr abzubringen. Dann bleibt sie hartnäckig dran.

Was können wir Politikerinnen und Politiker von ­Greta Thunberg wohl lernen? Was können wir von Fridays for Future lernen? Es war vielleicht noch nie so klar wie in den letzten Tagen mit Fridays for Future und Scientists for Future, was Politik im 21. Jahrhundert bedeutet. Es bedeutet, dass wir eine globale Herausforderung haben. Aber es bedeutet auch, dass wir globales Engagement, Idealismus, Expertentum und Menschen haben, die in über 2 000 Städten der Welt auf die Straße gegangen sind, eine globale Generation, inspiriert von einem 16-jährigen schwedischen Mädchen, in Los Angeles, Mumbai, Sydney usw. und in fast allen unseren Wahlkreisen. Diese Menschen zeigen uns: Politik kann gelingen, wenn wir den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auch die Lösungen des 21. Jahrhunderts entgegensetzen.

Ich frage mich: Worauf warten wir noch? Wir haben die Mittel. Wir haben das politische Wissen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber uns fehlen der Mut und der Wille für die großen Veränderungen. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen das Stichwort „Gelbwesten“ gehört habe, wenn es um Veränderungen ging. Wir haben Angst vor den potenziellen Widerständen auf der Straße, anstatt uns dem realen Mut auf der Straße anzuschließen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es stimmt: Demokratische Prozesse sind langsam, und die Art, wie wir Kompromisse suchen, ist zermürbend. Trotzdem ist es das bestmögliche System, das wir kennen. Aber der Verweis auf die Langsamkeit und die Notwendigkeit von Konsens ist oft genug eine Ausrede für fehlenden Mut, für Verzagtheit, für Verantwortungslosigkeit, für bloßen Lobbyismus, für das Verspielen unserer gemeinsamen Zukunft, für ein schüchternes Politikmikado, bei dem der verliert, der sich als Erster bewegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Auch hier können wir von Fridays for Future lernen, deren Unterstützer uns entgegenrufen: Es gibt unsere Bewegung nur, weil ihr euch nicht bewegt. – Wir wissen, was unsere Aufgabe ist. Wir müssen unsere Art des Wirtschaftens vom CO 2 -Ausstoß entkoppeln. Das ist unsere Aufgabe.

(Dr. Lukas Köhler [FDP]: Wie denn? Sagen Sie doch etwas dazu!)

Packen wir es an, und machen wir eine Politik für diese Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Nur Paternalismus gegenüber den Schülern!)