Rede von Lisa Paus Steuerflucht

21.02.2019

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 825 Milliarden Euro gehen dem Fiskus in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union an Steuern verloren – jedes Jahr. Das sind nicht unsere Zahlen, das sind Zahlen der sozialdemokratischen Kollegen aus dem Europäischen Parlament. Ja, man kann über Zahlen und Berechnungen trefflich streiten. Aber worüber man nicht streiten kann: erstens, dass ein Großteil des Schadens aufgrund der aggressiven Steuergestaltungen von internationalen Konzernen entsteht; zweitens, dass Deutschland von den Steuerausfällen besonders betroffen ist; und drittens, dass es ungeheure Ungerechtigkeit ist, wenn sich einzelne Unternehmen auf Kosten der breiten Mehrheit darum drücken, ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten – ganz zu schweigen von den massiven Wettbewerbsverzerrungen, zu denen es kommt, wenn Amazon, wie zuletzt bekannt geworden, nicht nur keinen Cent zahlt, sondern sogar noch Steuergutschriften verbuchen kann, der Buchladen an der Ecke aber anständig seine Steuern zahlt.

Der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke für mehr Konzerntransparenz kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Der Kommissionsvorschlag von ­Pierre Moscovici zu diesem Thema wird seit 2016 beraten. Aber wenn er bis zur Europawahl nicht verabschiedet wird, dann ist das europäische Zeitfenster für mehr Konzerntransparenz erst einmal geschlossen und die Chance auf Reform vielleicht endgültig vorbei. Die Reform auf die lange Bank zu schieben, wäre verantwortungslos und würde alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sehr viel Geld kosten.

Es macht fassungslos, zu sehen, dass ausgerechnet die deutsche Bundesregierung echte Fortschritte für die Bürger Europas und hierzulande blockiert. Die EU-Kommission hat sich klar und deutlich für mehr öffentliche Konzerntransparenz ausgesprochen. Das Europäische Parlament hat sich nach kontroversen Debatten mit breiter Mehrheit hinter den Vorschlag gestellt – übrigens mit vielen Stimmen der Sozialdemokraten. Und viele Mitgliedstaaten, darunter der wichtige Partner Frankreich, setzen sich dafür ein. Trotzdem blockiert Deutschland seit fast drei Jahren diesen Vorschlag im Rat. Wir sind damit in der paradoxen Situation, dass ein sozialdemokratischer Finanzminister in Deutschland Fortschritte im Kampf gegen Steuerflucht und Steuervermeidung in ganz Europa aufhält.

Aber was steckt hinter dieser Blockade, was ist so kontrovers? Warum dieser massive Widerstand der Unternehmenslobby, allen voran der Stiftung Familienunternehmen? Eigentlich geht es nur um die Veröffentlichung bereits für die Finanzämter erhobener Daten: Kennzahlen zu den wirtschaftlichen Aktivitäten und Gewinnen von Unternehmen – und das nach Ländern aufgeschlüsselt. Heute ist es so, dass die Öffentlichkeit schlicht nicht weiß, wo internationale Konzerne Gewinne erwirtschaften und wo Steuern gezahlt werden. Ausgewiesen wird nur eine Gesamtbilanz, die es nicht erlaubt, nachzuvollziehen, wie sich Umsätze und Gewinne der Konzerne auf ihre Unternehmenssitze in den verschiedenen Ländern verteilen. Wir brauchen deshalb die Offenlegung länderspezifischer Konzernbilanzen – nicht weniger, aber auch nicht mehr! Aus Angst vor mehr Transparenz und einer öffentlichen Diskussion wird mit massivem Lobbydruck vonseiten der Wirtschaft gegen alle sachlichen Argumente angegangen. Mehraufwand für die Unternehmen, sensible Daten oder verfassungsrechtliche Bedenken – ich bitte Sie! Der vorliegende Vorschlag geht auf all diese Punkte ein.

Wir brauchen eine öffentliche Debatte; denn wir haben gesehen: Nach Jahren des Stillstandes waren es die Veröffentlichungen der LuxLeaks, der Panama Papers oder der Paradise Papers und die anschließende öffentliche Debatte, die echte Veränderungen gebracht haben. Es kann doch aber nicht im Interesse der Unternehmen sein, dass wir weiter auf solche Veröffentlichungen, die Arbeit investigativer Journalisten und Whistleblower angewiesen sind. Spektakuläre Enthüllungen tragen eher zu der von den Unternehmen beklagten Skandalisierung in der Öffentlichkeit bei. Eine faktenbasierte, öffentliche Debatte, auch hier im Parlament, wäre doch für alle Seiten viel wünschenswerter. Eines ist sicher: Die Debatte wird nicht aufhören. Die Frage ist nur, wie informiert sie sein wird.

Dass der damalige Finanzminister Herr Schäuble und die CDU/CSU sich in den vergangenen Jahren immer wieder zu Schutzpatronen der großen Unternehmen aufgeschwungen haben, hat viele nicht gewundert. Dass die SPD hingegen, trotz eines klaren Konventbeschlusses von 2016, hier blockiert, ist mehr als ärgerlich – und das, obwohl die Ankündigung im Wahlkampf gewesen ist, dass die SPD gerade bei den Europafragen den Unterschied machen wollte. Bisher ist sie diesen Beweis schuldig geblieben. Ob bei der Finanztransaktionsteuer, der Digitalsteuer oder jetzt beim Thema Konzerntransparenz: Die Politik von Herrn Schäuble wird von Olaf Scholz einfach fortgeführt.

Der Koalitionsvertrag beinhaltet keine Festlegung beim Thema Konzerntransparenz. Es stünde dem zuständigen Fachminister, Finanzminister Olaf Scholz, gut zu Gesicht, hier einmal eine mutige Entscheidung zu treffen und seine sozialdemokratische Seite wiederzuentdecken.

Wir als Grüne-Bundestagsfraktion werden diesem Antrag zustimmen. Denn um Europas Versprechen zu erneuern, ist es entscheidend, dafür zu sorgen, dass Europa kein Steuersparmodell (mehr) ist.