Rede von Awet Tesfaiesus Medien- und Kommunikationsbericht 2021

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17.03.2022

Awet Tesfaiesus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Geehrte Kollegen und Kolleginnen! Vor wenigen Tagen stürmte die Journalistin Marina Owsjannikowa mit einem Pappschild in der Hand in ein russisches Fernsehstudio. Sie nennt den Krieg in der Ukraine beim Namen: Krieg. Nach Vorschriften der russischen Medienaufsicht ist das verboten. Wer dagegen verstößt, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die Nachrichtensendung wurde unterbrochen. Frau Owsjannikowa wurde festgenommen. Trotz alldem machen einige Journalistinnen und Journalisten weiter und schreiben über den Krieg. Dieser Mut ist beeindruckend. Diesen Menschen gilt meine Solidarität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Mehr denn je führt uns diese Situation vor Augen, was der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung einleitend ausführt: „Es sind die freie unabhängige Presse und der freie Austausch von Ideen, die die öffentliche Meinung bilden.“ Und noch mehr: Es ist der „öffentliche Diskurs, ob analog, ob digital“, der „das Fundament unserer Demokratie“ bildet. Als Demokratinnen und Demokraten ist es daher unsere Pflicht, den kritischen öffentlichen Diskurs und die freie Meinungsbildung zu fördern.

Doch auch hierzulande steht die freie Meinungsbildung vor schwierigen Zeiten. Dem klassischen Journalismus, insbesondere seinen Printangeboten, geht es schlecht. Die Mediennutzung verschiebt sich immer mehr in Richtung großer kommerzieller Internetplattformen. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit führt dazu, dass Informationen und Nachrichten schneller denn je und oft ungeprüft veröffentlicht und verbreitet werden. Es ist besorgniserregend, wenn es im Bericht heißt, dass es „zunehmend schwerer“ wird, „Information und Desinformation voneinander zu trennen“. Während bei klassischen Medien von Redakteurinnen und Redakteuren entschieden wird, welche Nachrichten hervorgehoben platziert werden, weil sie besonders bedeutend sind, stellen große Plattformen Informationen durch algorithmusgesteuerte Auswahlprozesse zur Verfügung. Wenige, aber dominante Player werden damit zu richtigen Gatekeepern der Informationsgesellschaft.

Verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch: Ich will nicht zu einem großen Digitalisierungsbashing ansetzen. Schließlich hat die Digitalisierung vielen marginalisierten und so in Redaktionen nicht vorhandenen Stimmen und Perspektiven Gehör verschafft. Bewegungen wie Black Lives Matter oder Fridays for Future wären ohne sie wohl nicht möglich gewesen. Dennoch dürfen wir die Risiken für unsere Demokratie nicht übersehen – Risiken, die von Plattformen ausgehen, deren Maxime es ist, immer mehr Klicks zu generieren, und die immer größer werdende Datensammlungen über uns User/-innen anlegen.

Das wissenschaftliche Gutachten zum aktuellen Medien- und Kommunikationsbericht zeigt: Wir stehen an einem Scheideweg; denn diese Entwicklung ist nicht alternativlos. Anstatt nach immer mehr Klickzahlen zu schielen, um möglichst hohe Werbeeinnahmen zu generieren, können kooperative Plattformen schon im technischen Design auf gemeinwohlorientierte Kriterien hin optimiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Guter Journalismus scheitert so nicht mehr am Algorithmus. Die Hauptaufgabe solcher Plattformen bestünde weniger in der Produktion von Inhalten, sondern eher in der Vernetzung und Moderation dieser. Es braucht einen Wechsel vom Gatekeeper- zum Netzwerkparadigma.

Die Idee der kooperativen Medienplattformen ist an sich nicht neu. Leider saß die letzte Bundesregierung dem Irrglauben auf, dass solche Plattformen wohl von selbst entstehen würden. Nicht einmal einen Branchendialog gab es dazu. Es ist dringend notwendig, diese Idee gemeinsam mit den Ländern voranzutreiben. Wir Grüne werden uns auch in Zukunft aktiv daran beteiligen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Doch das reicht nicht; denn die Krise des Journalismus ist schon zu weit fortgeschritten. Es gilt, den Journalismus gezielt zu unterstützen, etwa auch durch ein Journalismusförderprogramm. Dieses sollte sowohl gedruckte als auch digitale Verbreitungswege in den Blick nehmen. Das von Monika Grütters im letzten Jahr aufgelegte Programm war mit 1 Million Euro viel zu gering ausgestattet, um hier wirklich etwas zu reißen.

Bereits in der vergangenen Wahlperiode haben wir mit einem Gutachten Wege zu einer direkten Förderung von redaktioneller Arbeit im Lokaljournalismus aufgezeigt. Zudem ist es dringend geboten, Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus zu schaffen; denn es wird nicht reichen, am Rand des Spielfelds zu stehen, das von Facebook, Google und Co dominiert wird, und abzuwarten, ob sich mit etwas Glück vielleicht doch gemeinwohlorientierte Akteure durchsetzen.

Der Medien- und Kommunikationsbericht ist somit insbesondere im Lichte der aktuellen gravierenden Ereignisse ein Weckruf; denn eine funktionierende Medienlandschaft ist das Herz einer Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Als Parlamentarier/-innen ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieses Herz auch schlägt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Dr. Christiane Schenderlein für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)