Rede von Dr. Jan-Niclas Gesenhues Meereschutzgebiet im Weddellmeer

Dr. Jan-Niclas Gesenhues
21.10.2022

Dr. Jan-Niclas Gesenhues (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meere üben auf mich und wahrscheinlich auch auf viele von Ihnen eine unglaubliche Faszination aus. Sie sind Orte der Erholung und Orte, die eine ja fast magische Anziehungskraft auf viele von uns ausüben. Sie sind gleichzeitig auch Schätze der Artenvielfalt, Verbündete für den Klimaschutz und nicht zuletzt auch Wirtschaftsfaktor; viele Länder leben vom Tourismus an den Meeren oder eben auch von der Fischerei. Und was für mich besonders faszinierend ist, ist, dass vieles, was da unten in den Meeren lebt, bis heute noch gar nicht richtig erforscht ist. Ganze Schätze für Wissenschaft und Forschung schlummern da unten noch, und ich finde, das macht sie noch mal ganz besonders faszinierend.

Zu den besonders faszinierenden Meeren auf unserer Erde gehört das Weddellmeer, das größte Meer in der Antarktis. Um das einordnen zu können: Es ist sechsmal so groß wie die Bundesrepublik. 14 000 Arten leben am Boden des Weddellmeers, es gibt riesige Krill- und Fischvorkommen, die größten Krillvorkommen weltweit. Und gerade diese Krillvorkommen sind wichtige Grundlagen für Nahrungsnetze weltweit. Das Weddellmeer wird, wie viele andere antarktische Meere auch, zu Recht als Quelle des Lebens beschrieben. Und es ist auch unsere Verantwortung, uns international dafür einzusetzen, diesen Schatz der Natur, diesen Schatz der Artenvielfalt zu erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Philipp Hartewig [FDP])

Ich bin diesem Haus sehr dankbar, dass es gelungen ist, einen breit getragenen Antrag genau zu diesem Thema vorzulegen. Das Problem ist: Dieser wertvolle Raum, dieses wertvolle Weddellmeer ist akut bedroht, unter anderem durch Fischerei, durch Rohstoffhunger und ganz besonders natürlich auch durch die weiter eskalierende Klima- und Biodiversitätskrise. Dabei zeigt sich an den Meeren wie an fast keinem anderen Ort, wie eng Klima- und Biodiversitätskrise zusammenhängen:

Die Klimakrise führt zur weiteren Versauerung der Meere. Das hat konkret zur Folge, dass zum Beispiel in den antarktischen Meeren die Krillvorkommen wegsterben. Das wiederum hat zur Folge, dass Fische bis hin zu Walen, Meeressäugern sterben und damit ganze Nahrungsnetze zusammenbrechen. Das zeigt, wie auch die Klimakrise dazu führt, dass die Biodiversitätskrise weiter eskaliert und die Aussterbekatastrophe bei den Arten weiter zunimmt.

Klar ist aber auch: Wenn der Krill stirbt – das ist eine ganz besondere biologische Situation –, dann fällt auch die sogenannte biologische Kohlenstoffpumpe aus. Was ist das? Der Stoffwechsel des Krills führt dazu, dass große Mengen Kohlenstoff aus dem Wasser gebunden werden; Krill frisst die kleinen Mikroalgen. Das wird verstoffwechselt, sinkt auf den Boden, und Kohlenstoff wird dann über viele Jahrzehnte am Boden des Meeres gebunden. 35 Prozent des Kohlendioxids aus dem Wasser werden über diese biologische Kohlenstoffpumpe gebunden, und zwar langfristig gebunden. Das zeigt auch noch mal, wie wichtig Meere als Verbündete für den Klimaschutz sind.

Das Problem ist nur: Die Klimakrise führt zur Versauerung, Versauerung führt zum Sterben des Krills. Stirbt der Krill, wird weniger Kohlenstoff gebunden, und die Klimakrise eskaliert weiter. Das ist das, was wir meinen, wenn wir sagen, dass Klima- und Biodiversitätskrise eine Zwillingskrise sind. Dieses dramatische Zuspitzen der Krisen, diese fatale Spirale der ökologischen Krise müssen wir durchbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Klaus Mack [CDU/CSU] und Philipp Hartewig [FDP])

Ein wichtiger Beitrag, den wir dabei leisten könnten, wäre, international ein wirksames Schutzabkommen für das Weddellmeer auf den Weg zu bringen. Nur 7 Prozent der Meere weltweit sind geschützt. Unser Ziel muss eigentlich sein – da hat sich die Bundesregierung ja dankenswerterweise der Koalition der besonders ambitionierten Staaten angeschlossen –, 30 Prozent der Meeresflächen zu schützen. Das Weddellmeer könnte dazu einen riesigen Beitrag leisten; denn es könnte mit rund 2 Millionen Quadratkilometern das größte Schutzgebiet weltweit werden, ein riesiges Schutzgebiet im Meer. Es muss unser Anspruch sein, dieses Ziel weiter voranzutreiben.

Deshalb – und das fordern wir ja auch in unserem Antrag – ist es wichtig, dass wir alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen und dass wir den Vorschlag, das Weddellmeer als Schutzgebiet auszuweisen, immer wieder bei den entsprechenden Konferenzen einbringen, auch in einer Zeit, wo das diplomatisch natürlich nicht einfacher wird, weil auch hier gerade Länder wie zum Beispiel China oder Russland auf der Bremse stehen. Es ist wichtig, China in die Verantwortung zu nehmen, gerade als Präsidentin der diesjährigen UN‑Naturschutzkonferenz, und zum Beispiel auch mit Japan zu sprechen, Japan zu gewinnen, stärker mitzuwirken beim globalen Meeresschutz. Das sind die Dinge, die wir machen müssen und die wir auch in unserem Antrag fordern, in dem wir sagen, dass wir alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen wollen.

Wichtig ist natürlich, dass die Bundesregierung an dieser Stelle als Antreiberin auftritt. Ich glaube, dass die Bundesregierung in ihrer Amtszeit bisher schon einige richtige und gute Schritte gemacht hat, zum Beispiel mit der Benennung eines Meeresbeauftragten, mit der Ankündigung einer Meeresstrategie, indem die Bundesregierung mitgewirkt hat, ein globales Plastikabkommen auf den Weg zu bringen, oder, ganz konkret hier bei uns vor Ort, indem zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, um Munitionsaltlasten aus Nord- und Ostsee zu bergen. Das sind wichtige Beiträge. Das auch auf internationaler Ebene voranzubringen, ist unser Ziel, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vieles von dem, was ich beschrieben habe – jetzt auch die UN‑Biodiversitätskonferenz, die UN‑Klimakonferenz zu nutzen –, scheint weit weg. Wir können aber auch hier ganz konkret einen Beitrag leisten, indem wir zum Beispiel auf Fisch aus Aquakulturen verzichten und indem wir auf Fischöl-Nahrungsergänzungsmittel verzichten, die auf Krill basieren und die die Überfischung der Weltmeere weiter antreiben. Auch wir als Verbraucherinnen und Verbraucher können einen konkreten Beitrag leisten.

Klar ist aber: Die Hauptverantwortung bleibt bei Politik und Wirtschaft. Und damit Politik und Wirtschaft ihre Verantwortung ernster nehmen, –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Jan-Niclas Gesenhues (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– ist es wichtig, die Aussterbekatastrophe, die Klimakatastrophe ganz oben auf die politische Agenda zu setzen, den Meeresschutz weiter voranzubringen. Genau dafür geben wir mit unserem Antrag Rückenwind, meine Damen und Herren.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat der Kollege Klaus Mack, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)