Rede von Katharina Beck Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel

23.06.2022

Katharina Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Haben wir in Deutschland ein Problem mit massiven Preissteigerungen? Ja. Sehr, sehr groß ist dieses Problem. Gurken beispielsweise sind über 40 Prozent teurer geworden. Alle Lebensmittel sind durchschnittlich über 10 Prozent teurer geworden. Wie sollen sich das Menschen, deren Hartz‑IV-Sätze beispielsweise nicht gestiegen sind, oder Menschen, die wie Manager 70- oder 80‑Stunden-Wochen haben, aber das in drei Jobs erarbeiten müssen und dann vielleicht sogar noch aufstocken müssen, leisten? Dieses Problem ist wirklich massiv.

Wir als Regierung – das haben jetzt schon so viele gesagt – steuern wirklich mit riesigen Entlastungspaketen schon dagegen.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Aber nicht zielgerichtet! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist aber ein Streuschuss!)

Aber es ist wichtig, uns zielgerichtet und mit soliden Staatsfinanzen und für die Zukunft richtig aufzustellen.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: 300 Milliarden Schulden? Das ist nicht solide!)

Es wäre aber vermessen, zu glauben, das Problem sei jetzt mit einer Einzelmaßnahme bei den Lebensmittelpreisen zu lösen. Ich hatte gerade schon gesagt: Die Gurkenpreise beispielsweise und viele andere Preise sind im zweistelligen Bereich angestiegen. – Selbst wenn die Senkung zu 100 Prozent weitergegeben würde, würde wir das nicht komplett heilen. Das Problem ist viel größer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Käme so eine Maßnahme denn auch an? Die Studien variieren da; das ist nicht komplett nachvollziehbar. Aber selbst wenn man mal annimmt, dass etwas weitergeben wird und ungefähr 60 Prozent ankommen – das DIW hat bei der letzten Mehrwertsteuersenkung von 50 Prozent gesprochen; manche sprechen von 70 Prozent im Lebensmittelbereich; wir wissen es einfach nicht –: Können wir es uns leisten, dass die restlichen 40 Prozent dann bei den Handelsketten, die in der Coronapandemie wirklich große Umsatzsteigerungen verbuchen konnten, landen? Das wären 800 Millionen bis 2 Milliarden Euro, die uns für andere, gezielte Entlastungsmaßnahmen fehlen würden. Die Meinung dieser Koalition ist: Nein, das können wir uns so nicht leisten. Wir müssen gezielt helfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Antwort kann nur sein, dass wir sagen – Herr Güntzler hat das ja selbst gesagt und viele andere auch –: Wir brauchen diese Entlastung nicht. Das heißt, wir müssen die Hartz‑IV-Regelsätze gegebenenfalls anheben, damit man sich das noch leisten kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Aber nicht Sanktionen streichen!)

Vor allen Dingen dürfen wir auch nicht vergessen, dass es in diesem Bereich einfach ist, die Menschen zu erreichen; denn sie sind schon im System. Aber diejenigen, die wirklich wenig Geld verdienen, müssen wir auch erreichen. Glücklicherweise haben wir den Grundfreibetrag angehoben. Glücklicherweise haben wir die Energiepreispauschale eingeführt, die aber auch frei verfügbar für Dinge einsetzbar ist, die man wirklich braucht.

(Zurufe der Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU] und Fritz Güntzler [CDU/CSU])

Über Pauschallösungen müssen und sollten wir weiter nachdenken, auch im nächsten Schritt.

Und – ich hatte das heute Morgen schon ausgeführt –: Die Wurzel allen Übels sind die extrem explodierten Energiepreise. Das heißt, um hier mittelfristig wirklich abzufedern und auch die Lebensmittelpreise in Deutschland wieder zu senken – die hängen in Deutschland nämlich noch viel mehr als an den Lieferketten an den Energiepreisen –, müssen wir an die Energie ran. Wir müssen uns diversifizieren. Wir machen es wirklich nicht leichten Herzens, dafür nach Katar zu fahren; aber für die Übergangstechnologien muss das sein. Den Ausbau der Erneuerbaren, der Freiheitsenergien, voranzutreiben, das machen wir, und zwar sehr beherzt. Wir geben dem hier im Planungsrecht einen Vorrang.

Und drittens. Wir müssen an die Preisbildung rangehen, das Kartellrecht substanziell reformieren, sodass es nicht mehr zu der Möglichkeit kommen kann, die Preise so zu setzen, wie es geschehen ist. Um 38 Prozent sind die Energiepreise gestiegen; das ist wirklich exorbitant. In diesen oligopolistischen Markt reinzugehen, auch das macht diese Bundesregierung.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin!

Katharina Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das heißt: kluge Antworten finden, nicht Einzelmaßnahmen, die dann nicht ausschließlich denen zugutekommen, die es bräuchten, sondern die zum Teil auch versickern würden.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Werden Sie doch mal ein bisschen konkreter!)

– Ich bin sehr konkret geworden, glaube ich, mit sehr vielen Maßnahmen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das kann sie gar nicht mehr, weil sie über ihre Redezeit schon hinaus ist.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schade!)

Katharina Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Deswegen machen wir einen klugen Mix an Maßnahmen und verlieren uns nicht in Einzelmaßnahmen, die im Endeffekt nicht zielgenau und effizient genug sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: 9‑Euro-Ticket ist nicht effizient!)