Rede von Claudia Müller Meisterpflicht im Handwerk

13.12.2018

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Klappern gehört zum Handwerk. Aber bei diesem Antrag hat die AfD eindeutig die Rüttelplatte rausgeholt. Die Handwerksnovelle als Vernichter des Handwerks, das ist das Bild, das Sie hier zeichnen. Das ist – die Vorrednerinnen und -redner haben das dargestellt – deutlich überzeichnet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die FDP hingegen ist deutlich vorsichtiger. Man muss sich schon bemühen, die klare Positionierung zu erkennen. Ihr Antrag enthält die Forderung nach Überprüfung der Ausweitung der Meisterpflicht auf Verfassungs- und Europarechtskonformität und Bestandsschutz für Betriebe der Anlage B1 ohne Meisterpflicht. Ich muss gestehen: Ich finde es durchaus ein bisschen ironisch, dass die selbsternannte Freiheitspartei hier anstatt auf positive Anreize tatsächlich auf eine Rückkehr zur Zwangsverpflichtung, wie Gegner es nennen, setzt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

(Manfred Todtenhausen [FDP]: Wie hätten Sie es denn gerne?)

Immerhin haben Sie den Punkt des Bestandsschutzes drin. Das ist etwas deutlich Positives, woran die AfD ja noch nicht einmal denkt.

Ihnen von der AfD scheint es vollkommen egal zu sein, was Ihr Antrag für Tausende von Betrieben und Solo-Selbstständige bedeuten würde, nämlich den Verlust der Zulassung. Das ist Ihnen vollkommen egal.

(Tino Chrupalla [AfD]: Unsinn!)

Man sieht wieder: Ihr Antrag besteht nur aus Plattitüden, enthält keine Ideen zur Lösung des Problems und ist zum Teil wieder einmal kompletter Unsinn. Von Ihnen ist auch nichts anderes zu erwarten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Poschmann [SPD])

Was Sie können, ist dramatisieren. Die AfD spricht davon, dass das Handwerk nur wegen der Handwerksnovelle 2004 im Kern so destabilisiert ist, dass es keinen gesicherten Fortbestand der zulassungsfreien traditionellen B2-Gewerke gibt. Sie haben sie ja genannt: Sattlerei, Glockengießerei, Siebdruckerei, Uhrmacherei. In allen diesen Bereichen arbeiten also nur noch so wenige Menschen wegen der Handwerksnovelle 2004. Veränderte Lebensgewohnheiten, die Ausweitung von industrieller Fertigung, all das hat in Ihren Betrachtungen keinen Einfluss. Der Antrag zeigt wieder einmal Ihre Haltung: Zurück zum Anfang des 20. Jahrhunderts, wenn nicht sogar zurück ins 19. Jahrhundert!

Mit den Methoden der Verkürzung und Überdramatisierung kennen Sie sich ja aus. Schauen wir uns doch mal die Ausbildungszahlen an. Ihrer Meinung nach sanken die ja erst seit der Handwerksnovelle 2004. Das ist übrigens ein tolles Beispiel, wie man mit Verkürzungen manipulieren kann. Es ist ja vollkommen unbestritten, dass die Ausbildungszahlen im Handwerk sinken, und das schon seit vielen Jahren, in den alten Bundesländern übrigens seit Mitte der 80er-Jahre, in den neuen Bundesländern seit dem Jahre 2000. Das gilt übrigens sowohl für die zulassungsfreien als auch für die zulassungspflichtigen Berufe. Es gibt sogar einige Bereiche, in denen die Zahlen vorher sogar noch stärker gesunken sind.

Ich habe mal ein Beispiel rausgesucht – ich habe das eigentlich für Herrn Linnemann rausgesucht; denn er nimmt es auch sehr gerne –: die Fliesen-, Platten- und Mosaikleger. 1998 hatten wir in diesem Bereich noch 8 114 Auszubildende, im Jahre 2004  3 029. Es ist nicht so, dass die Zahlen die ganze Zeit ein Plateau gebildet haben und dann 2004 schlagartig absanken. Vielmehr war es ein gradueller Rückgang. 2004 hatten wir nur noch 37 Prozent der Auszubildenden, die wir 1998 hatten, und das innerhalb von sechs Jahren.

(Manfred Todtenhausen [FDP]: Genau!)

Bis 2017 sank die Zahl dann auf 2 353. Aber Sie sehen: Das ist ein deutlich geringerer Abfall als in der Zeit davor.

(Manfred Todtenhausen [FDP]: Vielleicht hat das was mit der Konjunktur zu tun!)

Das heißt, hier zu sagen, die Handwerksnovelle sei verantwortlich für diesen Einbruch, ist schlicht und ergreifend falsch. Monokausales Denken hilft uns an dieser Stelle nicht weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel reden, dann müssen wir analytisch an dieses Thema herangehen und dürfen das nicht so populistisch machen wie Sie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Gegenbeispiel: Wir haben diese Einbrüche auch in zulassungspflichtigen Bereichen. Meine Kollegin Monika Lazar ist eine Vertreterin des Bäckerhandwerks. Auch dort haben wir extreme Einbrüche gehabt, sowohl in der Ausbildung als auch in den Betrieben. Aber einer der Hauptgründe ist hier die deutliche Ausweitung der industriellen Fertigung. Das treibt die kleinen Handwerksbetriebe aus dem Markt. Seriöse Studien, wie zum Beispiel die von Klaus Müller aus dem Jahre 2018, weisen darauf hin – ich zitiere –:

Es ist anzunehmen, dass das veränderte Ausbildungsinteresse der Jugendlichen an einzelnen Berufen eine sehr viel größere Rolle spielt als die Novellierung der HwO.

Die Novellierung der Handwerksordnung wird in diesem Punkt also deutlich überschätzt. Und: Ja, die Anzahl der Klein- und Kleinstbetriebe hat sich erhöht, allerdings ebenfalls in den zulassungspflichtigen Bereichen. Sie hat sich in den Jahren 1995 bis 2015 in beiden Bereichen fast verdreifacht. Sie lag allerdings bei den Betrieben aus dem B1-Bereich schon vor 1995 deutlich höher als in den anderen Bereichen.

(Manfred Todtenhausen [FDP]: Ja!)

Sie sehen: Es ist also deutlich komplizierter als gedacht. Die Antwort auf die Kleine Anfrage, die wir gestellt haben – mehrere Kollegen haben ja schon darauf hingewiesen –, gibt eine breite Antwort auf viele Fragen. Allerdings ist es ein Sammelsurium. Wir wünschen uns, dass wir, bevor wir hier Schritte unternehmen, noch mal einen deutlichen Blick darauf werfen, insbesondere was die Evaluation im Hinblick auf die Einhaltung von Artikel 12 GG und die Europarechtskonformität angeht. Es gibt Experten, die hier von der Büchse der Pandora sprechen. Frau Grotelüschen hat das angesprochen: Das kann tatsächlich genau das Gegenteil von dem bewirken, was wir wollen. Da müssen wir sehr vorsichtig sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Todtenhausen [FDP]: Absolut! Da müssen wir vorsichtig sein!)

Was wir tun sollten, ist, den Meisterbrief zu stärken, Anreize zu setzen. Es gibt Bundesländer – Frau Grotelüschen, Sie haben darauf hingewiesen –, die durch Ausbildungsprämien – ähnlich dem Meister-BAföG – unterstützen, allen voran Niedersachsen mit 4 000 Euro und Mecklenburg-Vorpommern auf Platz zwei mit 2 000 Euro und 5 000 Euro für die Jahrgangsbesten. Wir sollten Anreize schaffen und zeigen, dass der Meisterbrief nicht nur Qualität bedeutet, sondern auch Chancen für einen Bildungsaufstieg eröffnet, dass er den Einstieg für alle Bildungswege offenhält, dass die Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Handwerk in jungen Jahren gleichbedeutend damit ist, dass einem später alle Türen für den beruflichen Werdegang offenstehen. Darauf sollten wir einen Blick werfen. Insofern brauchen wir hier keine Schnellschüsse, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)