Rede von Luise Amtsberg Menschenrechtsbericht

Foto von Luise Amtsberg MdB
20.01.2023

Luise Amtsberg, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Ich möchte mit einem Dank an dieses Parlament beginnen. Die Vielzahl der menschenrechtspolitischen Debatten hier im Haus und das stetige Ringen um Antworten zeichnen unser Parlament aus. Ja, manchmal sind diese Debatten kontrovers, manchmal auch etwas unbequem für die Bundesregierung. Das ist aber auch notwendig. Manchmal findet man aber auch große Einigkeit unter den demokratischen Fraktionen. Als Menschenrechtsbeauftragte möchte ich Ihnen und euch daher danken, dass die IS-Verbrechen gegen die jesidische Gemeinschaft gestern durch das Parlament als das benannt wurden, was sie sind: ein Völkermord. Das ist ein starkes Zeichen gegen das Vergessen, und das haben wir diesem Haus hier zu verdanken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaut man auf die Menschenrechtslage weltweit, muss man für die internationale Staatengemeinschaft leider eine traurige Bilanz ziehen. Die unermessliche Brutalität des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und damit verbunden die Verschärfung der Ernährungskrise im Globalen Süden, der skrupellose Umgang des iranischen Regimes mit Protestierenden, die erneut frauenverachtende Gewaltherrschaft der Taliban, der bewusste Versuch Chinas, die internationale Gemeinschaft zu spalten und auch zu destabilisieren – das sind die offensichtlichen Krisen und Herausforderungen. Daneben schwelen weiterhin so viele menschenrechtliche und humanitäre Krisen außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit: Hungersnot und Straflosigkeit in Südsudan, die systematische Unterdrückung von Oppositionellen in Kuba, Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Militärjunta in Myanmar, die Klimakrise, die lebensbedrohliche gesundheitliche Versorgungslücke in Sambia.

Nicht nur, dass es uns nur selten gelingt, Krisen und Konflikten vorzubeugen, womit die Zahl der Konflikte und Krisen stetig wächst, es gelingt uns leider auch immer weniger, diese nachhaltig zu lösen. Hinzu kommt die immer größer werdende Lücke zwischen verfügbaren Mitteln und den realen humanitären Bedarfen. Diese Erkenntnisse müssen dazu führen, dass wir uns den großen Fragen dieser Zeit zuwenden, dass wir beispielsweise das humanitäre System effizienter machen, mehr in die vorausschauende humanitäre Hilfe investieren, Mittel flexibilisieren und dort, wo es Sinn macht, auch Grenzen zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit auflösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich sage das bewusst hier an dieser Stelle an Sie als Parlament gerichtet, verbunden auch mit einem Dank: Es braucht uns, es braucht Deutschland weiterhin als zweitgrößten humanitären Geber und starken Akteur in der Resilienzförderung, um Leid abzumildern. Viele dieser Bemühungen finden Sie in diesem Menschenrechtsbericht. Ihnen als Haushaltsgesetzgeber kommt dabei natürlich eine besondere Rolle zu. Ich danke dem Parlament, dass es trotz angespannter Haushaltslage gelungen ist, diesen Anspruch zu halten, und ich hoffe wirklich sehr, dass uns das auch in der nächsten Runde wieder gelingen wird.

Die gegenwärtige Lage fordert uns auf, die großen Fragen zu stellen. Ich bin der Außenministerin Annalena Baerbock dankbar, dass sie sich diesen mit der nationalen Sicherheitsstrategie, der feministischen Außenpolitik, der Klimaaußenpolitik oder einer Neuausrichtung in der China-Politik stellt, dass sie diese Fragen nicht scheut, sondern neu denkt,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

dass sie, besonders mit Blick auf die Ukraine, wahrnehmbar und auf internationaler Ebene für die Einhaltung und Stärkung des internationalen Rechts einsteht, dass sie die bestehenden Lücken wie bei der Erweiterung des Rom-Statuts hinsichtlich des Tatbestands des Angriffskrieges adressiert und für Verbesserungen wirbt

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und – ich bin noch nicht fertig, ich habe noch mehr Lob – dass sie das internationale System bemüht, auch wenn es harte Widerstände gibt, dass sie nicht nachlässt und um Mehrheiten kämpft, wie beispielsweise bei der Iranresolution im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das alles braucht es jetzt. Deutschland muss innerhalb der weltweiten Staatengemeinschaft eine starke Rolle einnehmen und mehr Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten übernehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war vergangene Woche einige Tage in Kiew und mit der Außenministerin in Charkiw. Die Zerstörung im Stadtteil Saltiwka führt uns schonungslos vor Augen, wie wichtig die Stärkung des internationalen Systems und die Vorstöße unserer Außenministerin jetzt sind. Wir waren inmitten der Ruinen von Häusern, die bis vor Kurzem das Zuhause von mindestens 300 000 Menschen waren. Wir waren in diesem Stadtteil, wir haben gesehen, dass es dort keine militärischen Ziele gibt. Was wir aber gesehen haben, waren die Überreste von Spielplätzen, ein halb weggebombtes Haus, von dem der Flur einer Wohnung freigelegt war, in ihm eine Garderobe, an der noch Jacken hingen. Dieser Ausschnitt steht exemplarisch für den Fakt, dass diese Menschen, die Menschen in Saltiwka, Opfer eines Kriegsverbrechens geworden sind; denn nichts anderes ist es, wenn man gezielt Zivilisten beschießt, die Energieinfrastruktur zerstört, damit die Menschen bei minus12 Grad keine Heizung haben und verdursten müssen, weil die Rohre einfrieren. Russland muss für diese massiven Verbrechen am ukrainischen Volk zur Verantwortung gezogen werden! Auch dafür ist die Stärkung des internationalen Rechts so wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber es ist – das sage ich, weil das der Menschenrechtsbericht natürlich auch adressiert – auch eine Stärkung des internationalen Systems, besonders in der Menschenrechtsfrage, wenn wir selbstkritisch sind, wenn wir auch in Deutschland Kritik der internationalen Staatengemeinschaft ernst nehmen. Das finden Sie auch in diesem Bericht, der sehr stark die Umsetzungsschritte des Staatenüberprüfungsverfahrens der UN, das in diesem Jahr zu einem Abschluss kommt, in den Blick nimmt. Ich bin froh, dass wir einen Großteil dieser Forderungen bereits umgesetzt haben. Das ist auch notwendig. Wir dürfen nicht mit zweierlei Maß messen und uns aus der Verantwortung nehmen; denn eine solche Politik würde immer dazu führen, dass das internationale System und unsere Rolle dort zu Recht kritisiert und hinterfragt würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in Zeiten der Erosion des internationalen Systems müssen wir als Demokratinnen und Demokraten Seite an Seite mit der Zivilgesellschaft stehen und für universelle Werte und die regelbasierte Ordnung kämpfen. Wir sehen im Iran, was passiert, wenn Menschenrechte nicht geachtet werden: Menschen lehnen sich auf, sie gehen auf die Straße, obwohl sie wissen, dass ihnen Gefängnis, Gewalt und sogar unmittelbar der Tod droht. Und sie tun es dennoch, weil Menschenrechte universell und unteilbar sind, weil ohne sie kein würdiges Leben möglich ist. Dies sollten wir uns immer und jederzeit klarmachen, und wir sollten auch politisch danach handeln. Es sind diese mutigen Menschen, die uns jeden Tag zu Zeuginnen und Zeugen werden lassen, welche Kraft Hoffnung hat und dass Aufgeben keine Option ist. Ihnen gehört die Zukunft.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)