Frank Bsirske MdB
09.11.2023

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Abgeordnete! Im Juni hat die Mindestlohnkommission mit den Stimmen der Arbeitgebervertreter und der neuen Vorsitzenden den bisher verfolgten, auf Konsensfindung bedachten Weg verlassen und 6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Niedriglohnbereich für die nächsten zweieinhalb Jahre drastischen Reallohnverlust verordnet – Reallohnverlust und eine Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen.

Die Reaktionen darauf fielen deutlich aus. Ich zitiere: „Die Mindestlohnkommission ist doch eine Katastrophe.“ Die vergangene Erhöhung sei ein Witz. Nachdem die Gewerkschaften dort mithilfe der Vorsitzenden überstimmt worden seien, sei die Kommission ohnehin am Ende. Zitat:

„Ich denke nicht, dass die Gewerkschaften sich im Interesse der von ihnen vertretenen Beschäftigten weiter an dem Prozess der Mindestlohnfindung unter solchen Vorgaben beteiligen wollen.“

Das sagte der nordrhein-westfälische Sozial- und Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, CDU,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Mann!)

und spricht sich für eine Lohnuntergrenze nicht unter 60 Prozent des Medianlohns und eine entsprechende Änderung des Mindestlohngesetzes aus.

Genau das ist auch die Beschlusslage meiner Fraktion. Es ist in der Tat nicht hinzunehmen, dass der gesetzliche Mindestlohn Ende 2025 gemäß Mehrheitsbeschluss der Kommission auf Armutslohnniveau zurückfällt: auf 51,9 Prozent des Medians.

Deswegen ist es notwendig, das Mindestlohngesetz, wie von der EU empfohlen, um eine Untergrenze für die Höhe des Mindestlohns zu ergänzen und festzulegen, dass bei der Entwicklung des Mindestlohns stets mindestens 60 Prozent des Medianlohns sichergestellt sein müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Damit können wir verhindern, dass der gesetzliche Mindestlohn in die Nähe der Armutsschwelle zurückfällt, aus der wir die Löhne ja gerade mit Einführung des Mindestlohns herausführen wollten.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das trägt dem Rechnung, was 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung in diesem Land für zutiefst richtig und moralisch geboten halten: dass Arbeit nicht arm machen und nicht entwürdigen darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Ja, Arbeit darf nicht arm machen und nicht entwürdigen. Ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten würde das Einkommen von über 6 Millionen Menschen verbessern. Derzeit entspräche das etwa 13,50 Euro und im Jahr 2024 14 Euro. Wie schon bei der Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro im Oktober 2022 werden davon Frauen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland überproportional häufig profitieren. Der Mindestlohn würde sich dabei weiterhin nachlaufend an der Tariflohnentwicklung orientieren, und wie bisher würden darüber hinausgehende Erhöhungsschritte von der Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung erfolgen können.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass ein ehemaliger Gewerkschaftschef die Tarifpartnerschaft auflösen will! Wahnsinn!)

Dabei wollen wir die Konsensfindung der Sozialpartner fördern. Im Falle eines Patts könnte, wie bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, eine Schlichtung mit zwei Vorsitzenden mit alternierender Stichstimme greifen oder ein Losverfahren, wie es im angelsächsischen Raum häufig verwendet wird, das den Einigungsdruck in den Verhandlungen erhöht, weil beide Seiten die Sorge haben, beim Losentscheid zu verlieren.

Im Sommer wurde die Höhe des Mindestlohns für die kommenden zweieinhalb Jahre festgelegt – zweieinhalb Jahre! Ein so langer Zeitraum ist angesichts hoher Inflationsraten nicht zielführend. Die Mindestlohnkommission muss flexibler und schneller auf die Lohn-, Inflations- und Konjunkturentwicklung reagieren können. Daher soll im Mindestlohngesetz eine jährliche Anpassung festgelegt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich, dass es für eine solche Veränderung des Mindestlohngesetzes breite gesellschaftliche Unterstützung gibt: vom Arbeitnehmerflügel der Union über die Gewerkschaften und prominente Sozialdemokraten bis hin zur Linkspartei. Wir – damit komme ich zum Schluss – werden daran arbeiten, dafür auch in der Ampelkoalition einen Konsens zu erreichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die AfD hat Jürgen Pohl das Wort.

(Beifall bei der AfD)