Rede von Karl Bär Nahrungsmittelversorgung

Karl Bär MdB
18.01.2023

Karl Bär (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Unionsfraktion, ich finde das spannend: In dem Antrag benutzen Sie auch marxistisches Vokabular.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

Wer in die Ideengeschichte schaut, weiß: Bei Hegel sind die großen Ideen die eigentliche objektive Wirklichkeit. Karl Marx kritisiert diesen Idealismus und benutzt dafür das Wort „Ideologie“, das Sie auch so gerne benutzen. Nach Marx spiegelt und verschleiert Ideologie die Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Dieser Antrag ist ein Lehrstück in Sachen Ideologie, er präsentiert uns die Interessen der Agrarindustrie ganz ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das ist ja der Oberwitz! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Unsinn, Verbraucherinteressen!)

Die Resilienz von Ernährungssystemen zum Beispiel ist bei Ihnen ein Argument gegen die Reduktion von Pestiziden. Aha! Ich zitiere jetzt aus dem Bericht des UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Nahrung aus dem Jahr 2017: Die Behauptung, die von der agrochemischen Industrie gefördert wird, dass Pestizide notwendig sind, um die Ernährungssicherheit zu erreichen, ist nicht nur falsch, sondern gefährlich und irreführend.

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Das haben Sie auf Sri Lanka auch erzählt! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lügen Sie nicht über Sri Lanka!)

Das Gegenteil ist die Realität: Unser Ernährungssystem bricht genau dann zusammen, wenn es uns nicht gelingt, die Zerstörung der Biodiversität aufzuhalten. Vor einem Monat hat die Weltgemeinschaft in Montreal deshalb beschlossen, die Gefahren, die von Pestiziden ausgehen, zu halbieren. Dieses Ziel teilt die Europäische Kommission, und diese Bundesregierung wird den Pestizideinsatz in Deutschland massiv reduzieren.

Ihre einzige Lösung für die ökologischen Probleme ist für Sie die Gentechnik in der Landwirtschaft. Dieses Märchen hören wir seit Jahrzehnten von der entsprechenden Industrie, und nichts davon ist wahr geworden.

Es geht bei der aktuellen Debatte nicht darum, irgendetwas zuzulassen oder zu verbieten, sondern nur darum, ob es gekennzeichnet werden muss oder nicht. Sie vertreten hier wieder einmal die Interessen der chemischen Industrie, die sich diese Techniken und auch die Produkte, die daraus entstehen, längst hat patentieren lassen,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Forschungsfeindlich!)

gegen die Interessen der Menschen, die wissen wollen, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Ich bin echt froh, dass Sie nicht mehr regieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin umgekehrt sehr froh, dass Steffi Lemke mitregiert. Sie schlägt vor, die Verschwendung von Pflanzen- und Getreideölen im Tank von Autos Schritt für Schritt auf null zu reduzieren. Das ist ein großer, ganz wichtiger Beitrag. Momentan wird für diese Verschwendung ungefähr 1 Million Hektar gute Ackerflächen genutzt. Lebensmittel nicht zu verbrennen, sondern zu essen, wäre ein sofort wirksamer Beitrag zur Ernährung der Welt. Das ist gute Politik.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Na, wer ist denn auf die Idee mit dem Tank gekommen? – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Klimaschutz kommt gar nicht vor! Typisch!)

Der Umbau der Tierhaltung wäre der wohl wichtigste Beitrag zur Steigerung der Ernährungssicherung in Europa. Zurzeit ist der Versorgungsgrad der ganzen EU trotz der hochproduktiven Landwirtschaft negativ, weil wir zu viele Futtermittel für Tiere importieren. Wir verfüttern mehr, als wir essen. Das muss sich ändern. Daran arbeitet Cem Özdemir; danke schön!

Wenn Sie Lust haben, mal einen unverstellten Blick auf die Agrarpolitik zu erleben, dann kommen Sie am Samstag auf die Demo „Wir haben es satt!“; da treffen Sie Zehntausende Bürger/-innen und auch Bäuerinnen und Bauern. Ich werde mir da bestimmt auch anhören müssen, was die Regierung alles falsch macht.

(Frank Rinck [AfD]: Da gibt es einiges zu sagen!)

Aber im Gegensatz zu dem, was wir hier hören, sind das Diskussionen über die Interessen von Menschen, nicht ideologische Diskussionen über die Interessen von großen Konzernen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Oliver Vogt [CDU/CSU]: Mit Ideologie kennen Sie sich ja aus! – Frank Rinck [AfD]: Sie sind der größte Ideologe, der hier herumläuft!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Ina Latendorf.

(Beifall bei der LINKEN)