Rede von Renate Künast Nahrungsmittelversorgung sicherstellen

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08.04.2022

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Chef des World Food Programme, David Beasley, hat gesagt: Der Krieg in der Ukraine führt zu einer Katastrophe on top zu einer bestehenden Katastrophe. – Warum? Weil das World Food Programme schon vor dem Krieg 125 Millionen Menschen ernähren musste – 125 Millionen Menschen! Durch die Verteuerung von Lebensmitteln war schon klar, dass monatlich 71 Millionen Dollar mehr an Ausgaben geschultert werden müssen; deshalb hatten wir ja Hinweise auf gekürzte Lebensmittelrationen, zum Beispiel im Jemen. Ich finde, es ist wirklich makaber, dass Sie jetzt so tun, als würden die Probleme des Welthungers gerade erst mit dem Krieg in der Ukraine entstehen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt?)

Nein, Sie haben sie vorher nicht wirklich sehen wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie beziehen sich auf die Ukraine. Sie exportiert etwa 70 Millionen Tonnen Getreide jedes Jahr – Weizen, Mais und andere Sorten. Fast ein Drittel der globalen Weizenexporte stammte schon vor dem Krieg aus Russland und der Ukraine. Viele Länder im Nahen Osten und in Afrika waren darauf angewiesen. Um mal das Makabere zu sagen: In Kenia herrscht jetzt, ich glaube, im dritten Jahr Dürre. Gleichzeitig hat Kenia Tausende Tonnen Blumen nach Europa exportiert. Daran sehen Sie, dass in unserer Ernährungslage etwas schiefliegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damit müssen wir uns beschäftigen, meine Damen und Herren.

Jetzt kommen Sie mit einem Antrag, der zum Beispiel fordert, internationale Organisationen zu stärken. So weit, so gut. Dann sagen Sie – das hat auch Ihr Redner hier getan –, man müsse den Green Deal und die GAP, also die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, vorurteilsfrei bewerten. Ich habe gedacht: Nun kommt die vorurteilsfreie Bewertung. Aber schon kommt die übliche ideologische Bewertung: die Schaffung von Brachflächen aussetzen, den Pestizideinsatz ausweiten, die Reform der Agrarpolitik um ein Jahr verschieben. Meine Damen und Herren, das kenne ich seit mindestens 20 Jahren. Daran ist nichts neu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Zettel ist also mindestens 20 Jahre alt, Herr Bilger.

Ich gehe mal auf die Brachen ein. 4 Prozent der Agrarflächen sind Brachen, stillgelegte Flächen, was die Erträge am Ende aber kaum geschmälert hat. Warum? Weil das im Wesentlichen „Grenzertragsstandorte“ sind; so nennt man das in der Fachsprache. Das sind Gewässerrandstreifen und andere Landschaftselemente. Ich sage Danke an Cem Özdemir und das Ministerium, dass sie an dieser Stelle standhalten; denn das führt dazu, dass man den Aufwuchs als Futtermittel nutzen kann. Das ist die effektivste Art, etwas zu nutzen.

(Dieter Stier [CDU/CSU]: Sie widersprechen sich!)

Wenn Sie umgekehrt das machen, was die CDU will, nämlich diese Flächen, die schwer zu bewirtschaften sind, dann auch noch mit Pestiziden versehen, meine Damen und Herren, dann ist der Ertrag geringer als die ökologische Belastung. Das können Sie nicht ernsthaft wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

„Geringe Erträge“, „schwer zu bewirtschaften“, das gilt für diese Flächen.

Selbst wenn wir die Stilllegung aufheben würden, meine Damen und Herren, würde das zu einer Erhöhung der EU-Getreidemenge um 4,4 Prozent führen. Auf die weltweite Produktion bezogen – Sie wollen ja mit diesem Ansatz die Welt ernähren – wären das 0,4 Prozent. Mit 0,4 Prozent mehr wollen Sie die Welt retten?

(Dieter Stier [CDU/CSU]: Wir wollen einen Beitrag leisten!)

Nein, meine Damen und Herren. Das beleidigt unseren Intellekt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie wollen mit den schlechtesten Standorten, die die Bauern gerne stilllegen, weil sie dafür noch Geld kriegen, und die die geringsten Erträge abwerfen, und mit den besagten 0,4 Prozent mehr nicht nur die Welt retten, sondern die wunderbaren Böden der Ukraine ersetzen. Das glaubt kein Mensch. Und dann wollen Sie auch noch Pestizide auf diesen fast ertraglosen Standorten einsetzen. Sie haben aber doch zeitgleich gesagt, dass die Bauern belastet sind, weil die Pestizidpreise steigen. Wenn Sie aber auch noch auf diesen 4 Prozent der Flächen Pestizide einsetzen, steigen die Pestizidpreise noch weiter. Was wollen Sie eigentlich?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

In Deutschland umfassen die Stilllegungsflächen zurzeit 350 000 Hektar. Allein die Anbaufläche für Winterweizen in der Ukraine betrug 6,45 Millionen Hektar. Sie wollen also mit 350 000 Hektar 6,45 Millionen Hektar ersetzen und dann noch die Welt ernähren?

(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Nicht „ersetzen“! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Nein, meine Damen und Herren. Wenn Sie wirklich ernsthaft was erreichen wollen, dann reden Sie mal über die Hard Facts. Wenn wir zum Beispiel die Schweinehaltung um 30 Prozent reduzieren würden, dann würden wir 1 Million Hektar Fläche einsparen. Das wäre ein Beitrag zur Welternährung,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und zwar egal, ob die Fläche bei uns oder woanders anfällt. Dann könnte man damit Menschen ernähren.

Folgen Sie doch bitte besser 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die drei Hebel vorschlagen, nämlich dass wir die kurzfristigen Schocks bewältigen, dass wir uns auf die menschliche Gesundheit konzentrieren und dass wir langfristig nachhaltige Entwicklung gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hebel eins. Zwei Drittel der Ackerfläche in Deutschland nutzen wir für Futtermittel. Wenn wir das reduzieren, haben wir 5 Millionen Tonnen Getreide. Dazu sagen Sie kein Wort, meine Damen und Herren.

Hebel zwei: mehr Hülsenfrüchte, weitere Ökologisierung. Das würde heißen, die Farm-to-Folk-Strategie der EU, die zum Ziel hat, den Stickstoffüberschuss zu halbieren und den Ökolandbau auszuweiten, zu unterstützen, wie Cem Özdemir es tut. Kein Wort von Ihnen dazu. Das wollen Sie lieber nach hinten schieben. Ehrlich gesagt, glaubt Ihnen kein Mensch, dass Sie es nur ein Jahr nach hinten schieben wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Und dann Hebel drei: die Lebensmittelverschwendung. Auch dazu kein Wort von Ihnen, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen eins: Die Grundlage der Landwirtschaft – unserer Ernährung – sind gesunde Böden, ausreichend Wasser, stabiles Klima, eine reichhaltige Artenvielfalt. Deutschland hat allein in den letzten 20 Jahren so viel Wasser verloren, wie der Bodensee Wasser hat. Dazu sagen Sie auch nichts. Sie wollen nur Reformen, die die Landwirtschaft unterstützen, nach hinten schieben. Sie wollen allenfalls kleine kosmetische Operationen, die am Ende aber nicht helfen.

Mein letzter Satz, meine Damen und Herren: Es gibt auf dieser Welt potenziell genug Nahrungsmittel. Sie sind aber falsch verteilt; sie werden falsch genutzt.

(Stephan Brandner [AfD]: Punkt!)

Wir wollen die Reform weiterführen, um in diesem Jahr und in Zukunft Menschen zu ernähren.

(Stephan Brandner [AfD]: Ein Satz!)

Deshalb bin ich froh, dass Cem Özdemir Haltung zeigt und an der Stelle zwar bei der Fütterung hilft, aber nicht kaputtmacht, was uns erhält.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Ina Latendorf.

(Beifall bei der LINKEN)