Rede von Swantje Henrike Michaelsen Nationaler Radverkehrsplan

Swantje Michaelsen
08.02.2023

Swantje Henrike Michaelsen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang des NRVP steht eine Vision: Das Fahrrad soll Alltagsverkehrsmittel für alle werden – mit einer Infrastruktur, die alle Menschen zum Radfahren einlädt. Und ja, der Weg dahin ist noch weit. Das Potenzial des Fahrrads wird überall noch heillos unterschätzt. Dabei – und auch das steht im Nationalen Radverkehrsplan – hilft uns die Förderung des Fahrrads bei der Lösung sehr vieler Probleme.

Es ist günstig – für die Kommunen und die Gesellschaft und für jede einzelne Person. Es ist gesund. Wer Rad fährt, beugt Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor und produziert weder Feinstaub noch Stickoxide. Radfahren schont Klima und Umwelt, produziert kein CO2 und kein Mikroplastik und führt zu weniger Flächenversiegelung. Und nicht zuletzt: Radfahren macht Spaß und den Kopf frei.

(Beifall der Abg. Dr. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Radfahren geht übrigens auch im ländlichen Raum, wo die Hälfte der Wege kürzer als 5 Kilometer ist; in den Städten sind es 60 Prozent, also gar nicht so viel mehr. Die Fahrradwirtschaft hat zudem für vieles eine Lösung: Lastenräder für den Kindertransport, Dreiräder für Menschen mit Einschränkungen, Pedelecs für weite Strecken, Berge oder Gegenwind.

Es gibt bereits 81 Millionen Fahrräder in Deutschland, und fast alle Menschen in Deutschland können Rad fahren – jedenfalls können viel mehr Menschen Rad fahren als Auto fahren. Wir denken immer, das Auto sei barrierefrei, dabei ist das Gegenteil der Fall. Auto fahren ist in Deutschland eigentlich verboten, und nur wer eine Sondererlaubnis erwirbt, die wir Führerschein nennen, darf in Deutschland Auto fahren.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Thomas Ehrhorn [AfD]: Das ist ja eine ganz tolle Sicht der Dinge!)

Es haben aber fast 27 Millionen Menschen in Deutschland gar keinen Führerschein: 14 Millionen Kinder und Jugendliche und 13 Millionen Erwachsene. Insgesamt ein Drittel der Bevölkerung ist vom Auto als selbstständige Mobilitätsform ausgeschlossen.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Das müssen wir ändern! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sind Mitfahrer!)

Die meisten von ihnen können allerdings Rad fahren, wenn die Infrastruktur stimmt.

Da kommen wir zum Kern. Wenn wir Deutschland zum Fahrradland machen wollen, müssen wir sichere Radwegenetze und gute Abstellanlagen bauen. Hierfür müssen alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – zusammenarbeiten, und zwar mit dem Bund im Lead.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Valentin Abel [FDP])

Und auch wenn da in den letzten Jahren einiges passiert ist, bleibt noch sehr viel zu tun. Erst 44 Prozent der Bundesstraßen verfügen über einen Radweg. An Landesstraßen sieht es noch viel schlechter aus. Und in vielen Kommunen steht das Thema noch überhaupt nicht auf der Agenda. Es ist gut und richtig, dass der Bund seit einigen Jahren mit dem Sonderprogramm „Stadt und Land“ die Kommunen beim Ausbau ihrer Radinfrastruktur unterstützt. Und es ist auch gut, dass wir dieses Programm bis 2028 verstetigt haben.

Allein die Mittelhöhe ist in der bisherigen Planung noch ganz und gar nicht ausreichend; da muss mehr kommen. Das haben wir übrigens auch im Koalitionsvertrag vereinbart; denn der sagt: Wir setzen den Nationalen Radverkehrsplan um. – Und der wiederum sagt: Die finanzielle Förderung soll sich perspektivisch an 30 Euro pro Person und Jahr orientieren. – Wenn der Bund als stärkster Partner ein Drittel davon übernimmt, macht das rund 800 Millionen Euro pro Jahr. Hier ist der Minister gefordert, die entsprechenden Mittel im Haushalt bereitzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Klar ist aber auch: Geld allein wird es nicht richten. Denn das heutige Straßenverkehrsrecht bremst den Ausbau von Wegen fürs Rad und verhindert die Entstehung von attraktiven und sicheren Radwegenetzen. Wir müssen – und auch hier ist der Koalitionsvertrag sehr klar – das Straßenverkehrsrecht reformieren. Neue Ziele – nämlich Klima- und Umweltschutz, städtebauliche Entwicklung und Gesundheit – müssen so im StVG verankert werden, dass die Kommunen mehr Handlungsspielraum bekommen und die vielen Begründunghürden endlich entfallen. Das wird die Planung und Umsetzung von Radwegenetzen in den Kommunen stark beschleunigen. Dann können die Kommunen gute Radwege ausweisen, den öffentlichen Raum neu gestalten und Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität in den Städten und Gemeinden endlich erhöhen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Valentin Abel [FDP])

Beschlüsse für mehr Radwege und sichere Verkehrswege gibt es schon jetzt in vielen Kommunen. Aber sie können nicht umgesetzt werden, weil das Bundesgesetz so restriktiv ist. Eine Reform, die die kommunalen Beschlüsse umsetzbar macht, stärkt daher auch das Vertrauen in die Demokratie. Denn niemand versteht, warum der Ortsrat einen Radweg beschließt, der dann nicht kommt. Das sagt übrigens nicht nur der Koalitionsvertrag, sondern das fordern auch die kommunalen Spitzenverbände und die Länder. Und auch der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat eine Empfehlung zur Reform des Straßenverkehrsrechts ausgesprochen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Valentin Abel [FDP])

Mit den Kollegen von SPD und FDP bin ich intensiv im Austausch, und wir haben bereits erste Gespräche mit dem Ministerium geführt. Das Ministerium ist jetzt gefordert, den Koalitionsvertrag umzusetzen und zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Ja, wir müssen jetzt die Umsetzung des Fahrradlands Deutschland vorantreiben, und daran arbeiten wir auch. Denn dass das Fahrrad heute in weiten Teilen ein Verkehrsmittel ohne eigene Infrastruktur ist, haben wir vor allem der autofokussierten Verkehrspolitik der Union zu verdanken.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Ah!)

Es reicht eben nicht, nur Geld bereitzustellen, aber in Sachen Verkehrsrecht und Verkehrssicherheit am Status quo festzuhalten.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Steht alles im Antrag!)

Dass Sie jetzt das Wort für die Radverkehrsförderung ergreifen, freut mich einerseits. Andererseits ermüdet es mich, wenn Sie für mehr Radverkehr vor allem Umweltstandards schleifen wollen, wenn Sie sich gleichzeitig im Berliner Wahlkampf allein als Partei der Autofahrer/-innen geben und wenn Sie in den kommunalen Parlamenten allzu oft Maßnahmen für mehr Radverkehr blockieren, weil Ihnen Parkplätze letzten Endes doch wichtiger sind als sichere Schulwege für unsere Kinder.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Das ist doch totaler Unsinn! Kommen Sie mal nach Nordrhein-Westfalen! – Björn Simon [CDU/CSU]: Beides gilt!)

Im Übrigen könnten Sie bereits jetzt überall dort, wo Sie Verantwortung tragen, an unserer Seite für mehr Fahrradparkhäuser und Radwege kämpfen. Die Programme gibt es ja schon. Werden Sie konkret! Packen Sie es an,

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Sie regieren jetzt!)

und sparen Sie sich und uns die Zeit mit Showanträgen! Wir machen uns derweil an die Arbeit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als Nächstes erhält Thomas Lutze für Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)