Rede von Corinna Rüffer Nichtinvasiver Pränataltest

Foto von Corinna Rüffer MdB
24.04.2024

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Ich grüße jetzt vor allen Dingen die Menschen, die schon so lange darauf warten, dass sich der Bundestag – also wir – als Gesetzgeber seiner Verantwortung annimmt und sich endlich fundiert mit den ethischen, rechtlichen und gesundheitspolitischen Problemen der nichtinvasiven Pränataldiagnostik auseinandersetzt.

Ich weiß, dass ganz viele im Publikum sitzen, die das betrifft, die schon seit Jahren darauf warten, dass dieser Bundestag sich ihrer Herzenssache annimmt. Das sind Menschen mit Behinderungen, ihre Freunde und ihre Familien. Stellvertretend möchte ich begrüßen Susan Binder, Arthur Hackenthal, Stana Schenck, Frau Kanter, Konstantin Kanter, Sarah Manteufel und ganz viele andere.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ich möchte mich im Namen der interfraktionellen Gruppe dafür bedanken, dass heute Morgen Carina Kühne als Mensch mit Trisomie 21 einmal öffentlich deutlich gemacht hat, was es bedeutet, wenn man als Mensch, wenn man als Personengruppe das Gefühl hat, dass man in seinem Existenzrecht infrage gestellt wird.

Unsere interfraktionelle Gruppe Pränataldiagnostik arbeitet seit Jahren daran, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu entfesseln, wie wir in Zukunft mit den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik umgehen wollen. Es geht dabei nicht nur – schon diese Frage wäre wichtig genug – um die Frage, ob wir in Zukunft auf den Straßen immer weniger Menschen mit Trisomie 21 begegnen werden. Es geht um eine noch grundsätzlichere Frage: Wünschen wir uns wirklich eine Gesellschaft, in der wir Menschen mit Behinderungen vermeiden, wo es in unserer Macht liegt, und das „Recht“ auf ein „gesundes Kind“ gilt? Das „gesunde Kind“ ist natürlich eine Fiktion, weil Behinderungen eher selten ihre Ursache in genetischer Vielfalt haben.

In der Vergangenheit wurde oftmals argumentiert, dass der kostenlose Zugang zum NIPT – so heißt dieser Bluttest – eine Frage sozialer Gerechtigkeit sei. Manche stellten diese Diskussion in den Kontext des § 218. Ich halte beides für grundfalsch. Wir reden hier in aller Regel über Schwangere, die sich ein Kind wünschen. Und wir reden über einen Test, der keinen medizinischen Nutzen hat, an den keine Therapien geknüpft sind, weil wir über genetische Besonderheiten reden und eben nicht darüber, dass, wie es in der Medizin üblich ist, es um eine Heilung geht.

Der NIPT wurde mit dem Argument auf den Markt gebracht, er sei risikoärmer als die Amniozentese oder Plazentauntersuchung. Nun deutet einiges darauf hin, dass sich deren Zahl sogar erhöht hat. Der Bluttest wird längst nicht nur in begründeten Einzelfällen angewendet, sondern entwickelt sich schnell – wie befürchtet – zur Reihenuntersuchung. Bei 30 Prozent aller Geburten wurde in der Vergangenheit so ein Test durchgeführt, obwohl er gerade mit Blick auf junge Frauen eine besorgniserregend hohe Rate von falsch positiven Ergebnissen anzeigt.

Ein Beispiel: Bei einer 20-jährigen schwangeren jungen Frau liegt die Wahrscheinlichkeit bei 52 Prozent, dass ein positives Ergebnis falsch ist.

(Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Die Vorhersagegenauigkeit bei Trisomie 18 und Trisomie 13 liegt bei einer 20-jährigen Schwangeren bei 14 bzw. 6 Prozent. Darüber sollten wir mal nachdenken.

Sie sehen: Auf allen möglichen Ebenen begegnen uns hier Fragen, die wir noch nicht beantworten können, für die wir eine fundierte Grundlage brauchen, damit wir überhaupt wissen, worüber wir reden. Ich möchte sagen: Das betrifft uns alle als Gesellschaft. Dagmar Schmidt hat gerade davon gesprochen, dass Herr Hecken schon vor Jahren gesagt hat: Wir müssen uns endlich diesen Fragen zuwenden. – Aber für viele Menschen in dieser Gesellschaft geht es dabei um die Frage ihrer Existenz.

Ich habe letzte Woche einen Kinofilm bei mir in Trier gezeigt, wo ganz viele Menschen mit Trisomie dabei waren. Es war ein schöner Film; aber es ist kein Taschentuch trocken geblieben, weil allen klar war, dass es dabei um die Frage geht: Sind wir als behinderte Menschen in dieser Gesellschaft erwünscht? Um diese Debatte fundiert führen zu können, brauchen wir ganz dringend die Ergebnisse des Monitorings.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Dietz.

(Beifall bei der AfD)