Rede von Tabea Rößner Organspende

16.01.2020

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor meiner Zeit im Bundestag habe ich mich als Journalistin mit dem Thema Organspende sehr intensiv befasst und insbesondere nach Gesprächen mit Betroffenen, die sehr verzweifelt auf ein Spenderorgan warteten, für eine Widerspruchsregelung ausgesprochen. Seitdem habe ich selbst einen Organspendeausweis.

Je mehr ich mich aber in Vorbereitung auf die Abstimmung mit dem Thema beschäftigt habe, Gespräche mit Menschen in den unterschiedlichsten Situationen geführt und Veröffentlichungen gelesen habe, bin ich nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluss gekommen, dass ich den vorgeschlagenen Gesetzentwurf für die doppelte Widerspruchslösung nicht für geeignet halte, die Akzeptanz und Bereitschaft für eine Organspende und damit die Organspendequote zu erhöhen. Anders sehe ich es beim Gesetzentwurf für die Zustimmungsregelung, den ich unterstütze.

In Deutschland befürworten zwar 84 Prozent der Befragten eine Organspende. Aber nur 36 Prozent haben tatsächlich einen Organspendeausweis und zeigen sich damit eindeutig bereit für eine Organspende. Dass die Bereitschaft für eine Organspende in Deutschland dringend erhöht werden muss, ist das gemeinsame Ziel beider Gesetzentwürfe. Ob aber beide Vorschläge zu diesem Ziel führen werden, ist schwer vorauszusagen. Eine Verbesserung der Strukturen, die als Problem identifiziert wurden, ist 2019 auf den Weg gebracht worden. Dem „Zweiten Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ () habe ich, zusammen mit einer großen Mehrheit im Bundestag, zugestimmt. Dies greift aber nur, wenn auch die Spendenbereitschaft erhöht und das Vertrauen in einen würdevollen, nicht-missbräuchlichen Umgang mit Spendeorganen gestärkt bzw. nach verschiedenen Skandalen zurückgewonnen wird.

Die Befürworter/-innen der doppelten Widerspruchslösung argumentieren, dass es deutlich mehr Organspenden geben werde, wenn automatisch jede Person potenzieller Spender bzw. potenzielle Spenderin sei, solange sie nicht explizit einer Organspende widerspreche. Dabei wird insbesondere auf die Länder verwiesen, die eine Widerspruchslösung haben. Doch der Vergleich mit anderen Ländern hinkt. In vielen dieser Länder können Organe auch nach einem Herztod transplantiert werden. In Deutschland darf dies aber nur nach Feststellung des Hirntods erfolgen, weshalb die Zahlen nicht vergleichbar sind. Diese Regelung soll nicht geändert werden, weil sich der Gesetzgeber damals aus gutem Grund dazu entschieden hat. Damit soll sichergestellt werden, dass beispielsweise nach einem Herzstillstand auch alle Maßnahmen ergriffen werden, Leben zu retten.

Eine Studie britischer Wissenschaftler/-innen () zeigt beim Vergleich der Transplantationsdaten aus 35 sozioökonomisch ähnlichen Mitgliedsländern der OECD mit unterschiedlichen Transplantationssystemen, dass es zwischen den Ländern mit Widerspruchslösung und denen mit Zustimmungslösung keine signifikanten Unterschiede bei der Zahl der gespendeten Organe gibt. In Frankreich ist beispielsweise nach Einführung der Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden sogar gesunken. Dies zeigt, dass das Argument der Befürworter/-innen der Widerspruchslösung – die Zahl der Organspenden würde bei Einführung der Widerspruchslösung automatisch steigen – nicht stichhaltig ist. Es ist also höchst zweifelhaft, ob mit dieser Regelung die Organspendequote tatsächlich erhöht wird.

Dagegen ist die Widerspruchslösung nicht nur ein weitreichender Eingriff in das – postmortale – Selbstbestimmungsrecht, sondern benachteiligt vor allem diejenigen, die sich mit dem eigenen Tod und einer möglichen Organspende nicht auseinandersetzen können, weil sie sich zum Beispiel in einer schwierigen Situation befinden. Manche Menschen werden schlichtweg nicht in der Lage sein, Widerspruch einzulegen. Damit trifft diese Regelung die Schwächeren der Gesellschaft.

Der Gesetzentwurf für die Zustimmungslösung sieht die Einrichtung eines Registers für potenzielle Organspender/-innen vor und stärkt Aufklärung und Information. Jeder Mensch, der seinen Pass oder Personalausweis beantragt oder verlängert, soll mit der Frage konfrontiert werden, ob eine Organspende in Betracht kommt. Hausärzte sollen vertiefende Patientengespräche zum Thema Organspende anbieten und abrechnen können, was bisher nicht möglich ist. Auch bei der medizinischen Ausbildung soll Organspende stärker verankert werden und Teil der Erste-Hilfe-Schulungen zum Erwerb des Führerscheins sein. So werden deutlich mehr Menschen erreicht. Das wird die Lücke zwar nicht komplett schließen, aber verringern. Die Widerspruchslösung dagegen befreit den Staat und die Gesellschaft von dem Erfordernis, um Spendenbereitschaft und Akzeptanz zu werben, und entbindet auch die Krankenkassen von ihrer Informationspflicht zur Organspende. Das finde ich in dieser zutiefst persönlichen Frage kontraproduktiv und erhöht sicher nicht das Vertrauen in das Organspendewesen. Dieses Vertrauen ist aber dringend erforderlich, um die Bereitschaft zu erhöhen.

Ein mir wichtiger Aspekt kommt in vielen Diskussionen aber meist zu kurz. Das Fehlen einer Antwort würde bei der Widerspruchslösung als Einwilligung gewertet. Dies verändert das Verhältnis des Individuums zum Staat in einer zentralen Frage und kann als Blaupause für andere ethisch schwierige Fragestellungen dienen. Heute brauche ich eine schriftliche Einwilligung, wenn ich jemandem nur einen Newsletter zusenden will. Ich finde das richtig. Diese individuelle Entscheidung soll aber bei der Widerspruchslösung keine Rolle mehr spielen, wenn es darum geht, wer über meinen Körper bestimmt und was mit meinen Organen nach meinem Tod geschieht. Das kann nicht richtig sein. Schweigen darf nicht Zustimmung in einer so persönlichen und tiefgreifenden Entscheidung über die letzten Dinge des Lebens bedeuten.

Ich möchte Betroffene, die auf ein Organ warten, unterstützen und erhoffe mir von der Zustimmungslösung eine Erhöhung der Spendenbereitschaft und der Spendenquote. Bei dieser Regelung werden meines Erachtens die Interessen der auf Organspenden Angewiesenen und der potenziellen Organspender/-innen möglichst fair miteinander abgewogen.

Aus diesen Gründen stimme ich für das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende (Zustimmungslösung).