Rede von Tabea Rößner Orientierungsdebatte zur Impfpflicht

26.01.2022

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst möchte ich mich für diese Orientierungsdebatte bedanken. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Ansätze und Überlegungen zu erörtern, ob es mithilfe einer allgemeinen Impfpflicht gelingen kann, der Pandemie Herr zu werden und die Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern.

Die Menschen sind erschöpft und müde und wünschen sich endlich ein Ende der Pandemie. Umso wichtiger ist es, ihnen eine Perspektive zu geben. Was wir aber nicht tun sollten: wieder Erwartungen wecken, die enttäuscht werden. Das ist in den vergangenen zwei Jahren leider zu oft passiert.

Eine Impfung ist eine sehr persönliche Entscheidung. Und es ist gut, dass sich ein Großteil der Bevölkerung freiwillig impfen lässt. Das ist großartig. Und das machen sie überwiegend, weil sie Vertrauen in die Politik und in die Wissenschaft haben. Allerdings hat das Vertrauen in den vergangenen zwei Jahren sehr gelitten – nicht zuletzt durch schlecht kommunizierte Änderungen des Impfstatus oder des begrenzten Zugangs zu PCR-Tests, die ja für einen Genesenenstatus notwendig sind. Umso behutsamer müssen wir als Gesetzgeber bei neuen Maßnahmen vorgehen und diese auch gut begründen können. Und vor allem müssen wir alle Alternativen betrachten und prüfen, welches die milderen Mittel sind. Und nur wenn wir das sorgsam machen, können wir das verlorene Vertrauen wieder zurückgewinnen. Dafür müssen wir werben, aufklären und überzeugen. Erzwingen kann man Vertrauen aber nicht. Es ist meines Erachtens noch nicht alles getan worden, um die Menschen niedrigschwellig zu erreichen und von einer Impfung zu überzeugen.

Zum aktuellen Stand ist klar: Wir werden die aktuelle Omikron-Welle nicht mit der Impfpflicht abwehren. Dazu käme sie zu spät. Ob eine Impfnachweispflicht aber notwendig ist, um in der Zukunft die Funktionsfähigkeit unserer kritischen Infrastrukturen zu gewährleisten, ob sie ein geeignetes und angemessenes Mittel ist, kann aufgrund der dürftigen Datenlage zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit gesagt werden. Wir können nicht sagen, wie sich das Virus verändert und ob die jetzigen und zukünftigen Impfstoffe gegen künftige Mutanten überhaupt wirken. Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz, es gibt keine sterile Immunität, allenfalls eine Grundimmunisierung. Und auch wenn Impfnebenwirkungen äußerst selten sind: Es handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, um eine höchstpersönliche Entscheidung. Diese muss immer auf einer ausreichenden Datengrundlage getroffen werden und den Menschen vermittelbar sein. Zudem gibt es sehr viele Fragen hinsichtlich des Vollzugs einer solchen Impfpflicht.

In Abwägung und unter Berücksichtigung all dieser Aspekte und gerade bei einem so weitreichenden Eingriff in die Grundrechte komme ich zu dem Ergebnis, dass wir zum heutigen Zeitpunkt die Einführung einer Impfnachweispflicht nicht ausreichend begründen können.

Bevor wir also über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht entscheiden, die die meisten von uns im vergangenen Jahr ja noch breit abgelehnt haben, sollten wir erst die vielen Fragen beantworten, Unsicherheiten beseitigen und dringend eine aussagekräftige Datengrundlage schaffen. Und bis dahin müssen die Anstrengungen noch verstärkt werden, Menschen von einer Impfung zu überzeugen und gemeinsam an gegenseitigem Vertrauen zu arbeiten.