15.06.2018

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Parteienfinanzierung steht unter der Überschrift „Wider besseres Wissen und bar jeder Vernunft“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist etwas, was Ihnen allen zu denken geben sollte. Sie werden sich in Ihren Wahlkreisen – da spreche ich jetzt die Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen der Union und der SPD an – nicht dahinter verstecken können, dass Sie sagen: Na ja, das hat die Fraktionsführung irgendwie ausgehandelt; weiß auch nicht. – Das ist so eine Reaktion, die ich in den letzten Tagen gehört habe, die bei mir angekommen ist.

Es ist kein normales Gesetzgebungsverfahren. Es verstößt gegen alle Gepflogenheiten, die wir bisher in Sachen Parteienfinanzierung im Deutschen Bundestag zwischen den demokratischen Fraktionen hatten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD, der FDP und der LINKEN)

Denn da war immer klarer Stil: Wenn jemand etwas ändern wollte, Notwendigkeiten sah, an der Parteiengesetzgebung etwas zu ändern, dann sind wir aufeinander zugegangen, dann haben wir Fragen gemeinsam erörtert. Manchmal hatten wir Gemeinsamkeiten, manchmal hatten wir auch Trennendes. Deshalb haben wir 2011 gemeinsam, FDP, Union, SPD und Grüne, den Mechanismus der Parteienfinanzierung, was die relative Obergrenze und die absolute Obergrenze angeht, hier im Haus beschlossen. Von dieser Art zu diskutieren – als Parteien, Fraktionen gemeinsam eine Lösung zu finden –, haben Sie sich mit Ihrem Vorgehen hier komplett verabschiedet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür, meine Damen und Herren, werden Sie sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger in Ihren Wahlkreisen stellen müssen. Da ist nichts mehr mit Wegducken und Verweisen auf die Fraktionsführungen der beiden Großkoalitionäre. Das geht einfach so nicht, und es schadet allen demokratischen Parteien. Das ist doch das Problem, das wir haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wissen Sie, sonst könnte ich doch sagen: Laufen Sie einfach in Ihr Unglück. – Aber es ist doch ein völlig unüblicher Stil.

Keiner aus Ihrer Fraktion hat mal den Kontakt zu mir als Berichterstatterin gesucht – aus der anderen Fraktion übrigens auch niemand –, weder zu den Kollegen der FDP noch zu den Linken noch, wie gesagt, zu uns Grünen. Niemand hat mal gesagt: Lasst uns darüber diskutieren. Wie findet ihr den Vorschlag in der Sache?

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist doch kein normales Verfahren, meine Damen und Herren. Das verantworten Sie ganz alleine.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Haßelmann, der Kollege Dr. Hoffmann, FDP, möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne, Herr Hoffmann.

Dr. Christoph Hoffmann (FDP):

Der CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth hat hier in der letzten Debatte zu diesem Thema erklärt, dass die Schwäche der Parteien in der Weimarer Republik zum Untergang geführt habe, und leitet daraus ab, dass die Parteien heute unterfinanziert seien. Man kann natürlich darüber streiten, ob das Unfug ist oder nicht.

Ich denke, die Parteien erhalten heute so viele Steuergelder wie noch nie. Jetzt wird von der CDU und der SPD nochmals ein Aufschlag von 15 Prozent gefordert. Ich glaube, die Herrschaften haben den Schuss noch nicht gehört, den uns die Truppe, die alternative Südkurve mit den Gauleitern, beschert hat. Wir brauchen Reformen aus der Mitte der Gesellschaft und des demokratischen Spektrums heraus.

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Frage stellen!)

Jetzt die Frage an Sie: Glauben Sie, dass die Parteien insgesamt – und speziell die grüne Partei – zu schwach finanziert sind und uns deshalb Weimarer Verhältnisse drohen würden? Und glauben Sie, dass die teure Hauruckaktion von CDU und SPD auf Kosten der Bürger dazu beiträgt, das Vertrauen in unsere liberale Demokratie zu stärken, oder eher, es zu schwächen? Halten Sie das Handeln der Regierungskoalition für verantwortlich oder letztendlich für einen Sargnagel unserer liberalen Demokratie?

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Hoffmann, für Ihre Frage. – Ich glaube, dass die Parteien eine wirklich gute finanzielle Grundausstattung brauchen, damit sie in unserer lebendigen Demokratie ein guter Bestandteil sein und ihre Arbeit gut ausführen können.

Gerade weil ich überzeugt bin, dass das notwendig ist, ist so viel Sorgfalt angebracht, wenn man über Parteienfinanzierung redet. Es ist notwendig, einen Konsens zwischen den demokratischen Parteien darüber herbeizuführen, was wir im Parteiengesetz ändern wollen oder wie wir die Parteienfinanzierung aufstellen wollen.

Es ist ein großer Fehler von Union und SPD gemacht worden, weil wir mit der Darlegungspflicht und der Begründungspflicht, die uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, nicht so fahrlässig umgehen dürfen, wie das hier passiert, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Hoffmann, genau das war meine Frage an die Sachverständigen in der Anhörung: Glauben Sie, dass die Erhöhung der Obergrenze, das Heraufsetzen um 25 Millionen Euro, sachlich begründet ist? Mehrere Sachverständige haben deutlich gemacht: Weil uns das Bundesverfassungsgericht einen so klaren Begründungsrahmen und eine Darlegungspflicht vorgibt, müssen wir als Gesetzgeber das genau begründen – und nicht mit drei Stichworten nach dem Motto: Digitalisierung, Mitgliederentscheide und soziale Medien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Gucken Sie mal in die Begründung, Herr Hoffmann. Genau das steht da drin, –

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– drei Schlagworte, und am Ende ist da keine Begründung, keine Darlegung, die belastbar ist. Das ist das Problem.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Haßelmann, damit ist die Frage des Kollegen Dr. Hoffmann beantwortet. – Herr Kollege Dr. Hoffmann, für den Ausdruck „diese Truppe von Gauleitern“ muss ich Sie zur Ordnung rufen.

(Beifall bei der AfD – Beatrix von Storch [AfD]: Nazispruch!)

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Uhr wurde nicht angehalten. Das rechne ich jetzt noch ein bisschen mit ein.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Über die Redezeit verfügt der Präsident.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich weiß. Im Gegensatz zu vielen anderen kenne ich ja die Geschäftsordnung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, demokratische Grundsätze der inneren Ordnung von Parteien, die staatliche Teilfinanzierung und die gleichzeitige Staatsferne – da knüpfe ich an das Stichwort „Weimar“ an, das Herr Hoffmann gerade genannt hat –, diese drei Elemente sind ganz zentral für die Wahrnehmung unserer Arbeit und die Legitimation der Parteien in dieser Demokratie. Deshalb ärgert es mich so, wie Sie hier heute vorgehen. Sie schaden uns allen, den demokratischen Parteien, mit dieser Art des Vorgehens ganz erheblich. Es ist doch auch kein Wunder, dass sich Ihr Schatzmeister – ich weiß gar nicht, ob er heute überhaupt da ist – in die letzte Reihe gesetzt hat.

Was haben Sie 2015/16 für große Töne gespuckt, als wir hier über „Rent a Sozi“ diskutiert haben? Da hieß es: Die SPD legt bald einen Gesetzentwurf zu Sponsoring vor. Das kommt ja noch dazu; da hat Herr Buschmann doch vollkommen recht. Sponsoring, klare Veröffentlichungsregeln, Transparenzregeln bei Parteienfinanzierung – alles kein Thema mehr bei Union und SPD. Das ist auch ein Grund, meine Damen und Herren, diesen Gesetzentwurf heute abzulehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)