Rede von Kordula Schulz-Asche Pflege

Foto von Kordula Schulz-Asche MdB
26.05.2023

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen in Deutschland vor riesigen Herausforderungen, und zwar solchen, die seit Jahrzehnten absehbar sind. Einerseits fangen die geburtenstarken Jahrgänge jetzt an, in die Rente zu gehen – der dadurch ausgelöste Fachkräftemangel ist ja schon in allen Branchen deutlich zu spüren, auch in der Pflege –, und andererseits und glücklicherweise bleiben wir alle in der Regel länger rüstig, und die Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen.

Doch alte Menschen sind in ihren letzten Lebensjahren eben häufiger auf Pflege und Unterstützung durch ihre Familien oder durch professionell Pflegende angewiesen. Deswegen ist die besondere Situation in der Pflege, dass wir eine steigende Nachfrage nach Pflege haben und gleichzeitig einen Mangel an Fachkräften in der Pflege. Diese Herausforderung müssen wir meistern. Das ist die große gesamtgesellschaftliche Herausforderung für die nächsten Jahrzehnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das heutige Pflegeunterstützungs- und ‑entlastungsgesetz ist ein erster Schritt und mit Sicherheit nicht der letzte, um die richtigen Weichen zu stellen, besonders für die Pflege zu Hause. Über 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland – das sind rund 4 Millionen Menschen – werden zu Hause gepflegt – von ihren Partnern, von ihren Kindern und im Falle von pflegebedürftigen Kindern auch von ihren Eltern. Diese pflegenden Familien müssen endlich die Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft bekommen, die sie verdienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sie müssen sich auf eine stabile soziale Pflegeversicherung und auf unterstützende Strukturen vor Ort verlassen können; denn ohne sie wäre unser Gesundheits- und Pflegesystem längst zusammengebrochen. Deshalb enthält dieses Gesetz erste wichtige Bausteine zur Verbesserung der Situation der Pflegebedürftigen und ihrer Familien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Pflegegeld wird zum 1. Januar 2024 um 5 Prozent erhöht und ebenso der Betrag für ambulante Sachleistungen. Das Pflegeunterstützungsgeld ist eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige, um Pflege überhaupt organisieren zu können. Dies kann künftig zehn Tage pro Jahr und nicht nur einmalig in Anspruch genommen werden. Auch werden wir Pflegeheimbewohnerinnen und ‑bewohner durch Zuschüsse zu den Eigenanteilen zumindest teilweise entlasten.

Im Zuge der parlamentarischen Beratungen ist es uns zudem gelungen, weitere Verbesserungen durchzusetzen. Wir führen zum 1. Juli 2025 das Entlastungsbudget ein. Damit ermöglichen wir es pflegenden Angehörigen, Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege flexibel zu kombinieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Für Eltern von pflegebedürftigen Kindern mit Pflegegrad 4 oder 5 wird dieses Entlastungsbudget schon am 1. Januar 2024 in Kraft treten. Denn, meine Damen und Herren, gerade sie müssen oft über viele Jahre die Pflege ihrer Kinder, oftmals neben ihrer Erwerbstätigkeit, sicherstellen und sind dadurch ganz besonders belastet.

Die Fördermaßnahmen für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, insbesondere für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, werden bis zum Jahr 2030 verlängert.

Die konkrete Unterstützung vor Ort wird verbessert: Wir stärken die kommunale Pflege. Die Modellvorhaben zur Förderung von Unterstützungsmaßnahmen im Quartier sind wieder in das Gesetz aufgenommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist ein wichtiger Schritt. Denn, meine Damen und Herren, wir brauchen dringend unterstützende Strukturen dort, wo die Menschen leben.

Uns ist klar: Das Gesetz heute ist nur der Anfang einer weitreichenden Pflegereform, die ansteht. Wir standen diesmal unter Zeitdruck – das ist schon gesagt worden –,

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Klar! Ein Jahr!)

weil wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen mussten, das vorgeschrieben hat, die Pflegeversicherungsbeiträge nach der Kinderzahl zu staffeln. Auch das machen wir in diesem Gesetz.

Ich betone aber ausdrücklich, dass im Koalitionsvertrag weitere Maßnahmen vereinbart sind zur besseren und gerechteren Finanzierung der Pflege und zur Unterstützung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Dazu gehört die finanzielle Entlastung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben; das betrifft zum Beispiel die Pandemiekosten und die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige. Das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben und keine Versicherungsleistungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Erstattung dieser Leistungen aus Steuermitteln würde zu einer stabileren Finanzlage der Pflegeversicherung beitragen und würde den Menschen vor Ort tatsächlich dauerhaft helfen.

Wir gehen davon aus, dass die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die wir den Menschen gemacht haben, bald eingehalten werden. Denn es ist keine nachhaltige Lösung, ausschließlich über die Anhebung des Beitragssatzes sicherzustellen, dass die Pflegeversicherung ausreichend Mittel zur Verfügung hat. Wir brauchen eine nachhaltige Finanzierung der Versorgung pflegebedürftiger Menschen in unserem Land. Daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben darüber hinaus im Koalitionsvertrag vereinbart, dass den Kommunen Mitgestaltungsrechte im Rahmen der Versorgungsverträge eingeräumt werden. Der demografische Wandel, meine Damen und Herren, verändert unsere Gesellschaft. Kommunen werden dabei eine Schlüsselrolle einnehmen. Die Menschen brauchen diese Unterstützung vor Ort. Sie brauchen eine lokale Infrastruktur für professionelle Gesundheitsversorgung und Pflege, soziale Teilhabe und Begegnungen, Netzwerke für Ehrenamt und Nachbarschaftshilfe. Solche Fragen löst nicht der Markt, sondern nur die Gesellschaft zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Um dies zu erreichen, brauchen wir letztendlich auch eine starke Aufwertung der professionellen Pflege. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen verbessern. Wir müssen die Pflegeassistenzberufe endlich bundesweit vereinheitlichen. Und in den Kommunen brauchen wir endlich hochqualifiziertes Pflegefachpersonal, die sogenannte Community Health Nurse, um den hohen Anforderungen gerecht zu werden, die Gesundheit möglichst lange zu erhalten, Krankheit und Pflegebedürftigkeit fachlich zu begleiten.

(Sepp Müller [CDU/CSU]: Wer regiert denn?)

Meine Damen und Herren, der demografische Wandel wird uns in den nächsten Jahrzehnten weiter begleiten. Um die Menschen zu unterstützen, müssen jahrelang verpasste Reformen im Gesundheitswesen und in der Pflege jetzt aufgeholt werden. Daran wird sich diese Koalition messen lassen müssen. Es bleibt noch viel zu tun.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die Fraktion der AfD Thomas Dietz.

(Beifall bei der AfD)