Rede von Lamya Kaddor Politischer Islamismus

Lamya Kaddor
16.03.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Herr Hauer, 16 Jahre haben Sie regiert.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Haben Sie noch ein anderes Argument? – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Wer war der letzte Finanzminister?)

– Schön, dass Sie auch mal versuchen, zuzuhören, so wie ich eben versucht habe, zuzuhören. – Bei all dem, was Sie hier zum Islamismus sagen: Was haben Sie denn geschafft? Außer zu identifizieren, dass der Islamismus ein Problem ist, haben Sie auch nicht viel mehr hingekriegt.

Es fängt in Ihrem Antrag ja schon mit dem Begriff an.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Sie haben mir überhaupt nicht zugehört! Das wäre der erste Schritt gewesen!)

– Ist gut. Ich kann auch aufhören, zu reden, und dann machen Sie es alleine; ist auch gut.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Dass Ihnen das gefällt, ist klar; das wundert mich nicht. – Sie fangen an mit dem Begriff „politischer Islamismus“. Das ist eigentlich ein aktivistischer politischer Begriff von rechts außen; er kommt vor allen Dingen von der rechten Seite des Hauses.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Steht auch im Verfassungsschutzbericht!)

Dass Sie den benutzen, wundert mich nach Ihrem Abstimmungsverhalten eben nicht. Wen wundert es eigentlich noch?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ist das Kritik an Frau Faeser? Die benutzt den doch auch!)

– Ist gut. – Warum benutzen Sie diesen weiteren Begriff? Wir haben genügend Begrifflichkeiten: Islamismus, Fundamentalismus, Dschihadismus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie mal über die Sache und nicht über Begriffe!)

– Es ist echt ein Problem, hier mit Ihnen zu sprechen, ehrlich.

(Martin Sichert [AfD]: Da müssen Sie sich dran gewöhnen!)

– Jetzt fangen Sie auch noch an.

Sie können die Motive in Österreich studieren. Dort sollte man Vereine und Personen mit unliebsamem konservativen Islamverständnis ins Visier nehmen, und weil man erkannt hat, dass die etablierten Begriffe der Gefahrenabwehr hier nicht greifen, propagierte man das Gerede vom politischen Islamismus.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Gibt es den nicht?)

Islamismus ist übrigens nichts anderes, als mit Religion Politik zu machen. Sie haben anscheinend die Begrifflichkeit nicht richtig verstanden.

Sehr geehrte Damen und Herren, klar ist: Wir haben im Bereich des Islamismus auch weiterhin eine Gefahrenlage.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das war der beste Satz bisher!)

– Ja, dann hören Sie gut zu! – Auch im Bereich des Islamismus muss es eine bessere Analyse der Finanzierungsgeflechte durch das Bundesamt für Verfassungsschutz geben. Sie verschweigen hier übrigens, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat ja bereits die Befugnis, nicht nur Gruppierungen, sondern auch Einzelpersonen zu beobachten. Theoretisch bedeutet das bereits den Zugriff auf jedes weitere private Girokonto.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Ja, im Bereich der Terrorismusfinanzierung!)

Sie fordern die Möglichkeit, ein nationales Ersuchen bei der Financial Intelligence Unit zu stellen. Außerdem soll der Genehmigungsvorbehalt der G 10-Kommission für Abfragen von Kontostammdaten, unter anderem über die Abfragemöglichkeit beim Bundeszentralamt für Steuern, entfallen. Das wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Das habe ich Ihnen aber schon im September letzten Jahres genau so gesagt. Genützt hat es bei Ihnen offensichtlich nichts.

Ja, es gibt die vom Ausland finanzierten Moscheevereine. Aber was ist mit all den Musliminnen und Muslimen in Deutschland, die trotz ihres muslimischen Glaubens beispielsweise weder mit dem iranischen Religionsführer noch mit den Muslimbrüdern etwas zu tun haben wollen?

Ich habe vermutlich deutlich mehr Hassmails in meinem Leben von Islamisten erhalten als viele der Antragstellerinnen und Antragsteller hier. Mit meinen theologischen Argumenten zum Kopftuch mache ich mir unter vielen konservativen und fundamentalistischen Musliminnen und Muslimen übrigens wahrlich keine Freunde. Und trotzdem muss ich deren Haltungen tolerieren, zumindest solange dabei nicht gegen Gesetze verstoßen wird.

Sie aber wollen bestimmen, wer ein guter Muslim und wer ein schlechter Muslim ist, und „gut“ bedeutet für Sie „säkular“. Sie wollen Muslime ohne Islam. Manche halten ja schon das Kopftuch für die Flagge des Islamismus.

(Zuruf von der AfD: Ist sie ja auch!)

– Ja, ja. Hören Sie auf, sich für iranische Frauen starkzumachen! Das kauft Ihnen doch keiner ab. Also bitte!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb hantieren Sie mit dem Begriff „politischer Islamismus“.

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Da das im Verfassungsschutzbericht steht!)

Wer Islamismus problematisiert und zu Recht den dschihadistischen Islamismus kritisiert und bekämpfen will, der muss auch die Islamfeindlichkeit problematisieren. – Gestern war übrigens der Internationale Tag gegen Islamfeindlichkeit. Ich habe von Ihnen nichts gehört. So viel zum Thema! – Extreme bedingen sich also gegenseitig; deshalb müssen Sie beides zusammendenken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, jetzt versuche ich mal ein versöhnliches Wort. Wenn Sie tatsächlich etwas gegen die Gefahren des – ich sage es jetzt mal richtig – legalistischen Islamismus tun wollen, dann lassen Sie uns das gerne zusammen tun, aber bitte konkret. Lassen Sie uns zum Beispiel daran arbeiten, das IZH zu schließen! Ich bin die Letzte, die was dagegen hat, wenn es diese rechtlichen Möglichkeiten gibt.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Das habe ich zehn Jahre gefordert und hat die Grünen nie interessiert!)

– Ja. Und was haben Sie hingekriegt? Nichts, gar nichts!

Wenn Sie etwas gegen die Finanzierung aus dem Ausland tun wollen, dann sind wir auch dabei. Seit Jahren versuche ich, darauf hinzuweisen, dass wir hier in Deutschland verortete Vereine auch finanzieren sollten. Legen Sie ein Konzept vor! Ich bin sofort bei Ihnen, wenn das konstruktiv und gut ist.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Nächster Redner ist Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)