Lamya Kaddor
14.12.2023

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! CDU und CSU haben das Thema „politischer Islamismus“ aufgerufen, mal wieder.

Liebe Union, dieses Mal habe ich Ihren Antrag doch mit Interesse gelesen und an einigen Stellen tatsächlich zustimmend genickt. Man merkt, dass Sie sich ein paar mehr Gedanken über dieses Thema gemacht haben.

Der Kampf gegen den politischen Islamismus ist auch uns ein Anliegen. Wichtig ist uns hierbei, fair zu bleiben und dafür Sorge zu tragen, dass Unschuldige nicht in einen Sog von Verdächtigungen und Verleumdungen hineingezogen werden. Das macht das Thema „politischer Islamismus“ so kompliziert und anspruchsvoll.

Deswegen erschrickt man natürlich, wenn Sie ausgerechnet auf das österreichische Vorbild verweisen, das bekanntlich von Pauschalisierungen, falschen Annahmen, falschen Ansätzen und auch falschen Absichten nur so strotzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Ihr Antrag ist ein recht undifferenziertes Sammelsurium von Maßnahmen, nach dem Motto „Einfach alles reinpacken, was man schon immer mal sagen wollte“; denn eigentlich sollte es um Islamismus gehen und nicht um Antisemitismus. Aber diese Ismen vermischen Sie in Ihrem Antrag und tun so, als wäre das größte Problem des Islamismus der Antisemitismus. Das ist mitnichten so: Frauenverachtung, Demokratieverachtung, Verachtung von Andersgläubigen, Gewaltlegitimierung und vieles mehr sind seine ideologischen Grundpfeiler. Aber sei es drum.

Manche Forderungen in Ihrem Antrag würden wir im Einzelnen tatsächlich unterstreichen. Vielfach sind wir auch schon dabei, sie umzusetzen. Beispielsweise gab es vor Kurzem erst die Razzia gegen das Islamische Zentrum Hamburg – worauf wir auch schon seit Jahren drängen –, und das Verbot steht aus. Jetzt gerade kam die Eilmeldung, dass vier mutmaßliche Hamasmitglieder, die Anschläge geplant hatten, in Berlin und in den Niederlanden festgenommen worden sind.

Aber, sehr geehrte Damen und Herren, es sind natürlich auch einige Punkte dabei, denen es am fachlichen Unterbau mangelt. Vieles von dem, was Sie schreiben, wäre sicherlich wünschenswert, ist aber rechtlich nicht umsetzbar.

Wie wollen Sie etwa gesetzlich fassen, ob jemand indirekt einem ausländischen Staat untersteht? „Indirekt“ ist ein Wort, das außer im Wirtschaftsrecht eher selten in Gesetzestexten zu finden ist.

Sie wollen religiöse Einrichtungen bei Einflussnahmen aus dem Ausland nach Verwarnung schließen. Auch da wäre ich in der Sache grundsätzlich bei Ihnen. Die Forderung zielt vermutlich – haben Sie ja gerade auch gesagt – auf die DITIB ab. Aber was wollen Sie denn machen? Den größten Moscheeverein, 900 Moscheegemeinden in Deutschland schließen? Was ist denn dann mit all den Gläubigen, die beten wollen, wo sollen sie hin?

Wenn Sie so strikte Maßnahmen fordern, müssen Sie der anderen Seite auch etwas anbieten. Ihr Fraktionsvize Jens Spahn hatte jüngst gefordert, Deutschland solle Moscheen finanzieren, man wolle deutsche Moscheegemeinden, nicht türkische. Ja, dann lassen Sie doch hier mal was kommen, liebe Union! Wo sind Ihre Vorschläge? Wir sind bereit. Wo sind die konkreten Vorschläge zur Ausbildung in diesem Antrag? Laut dem Titel Ihres Antrags wollen Sie Muslime schützen. Wie wollen Sie denn Schutz schaffen, wie? Kein Satz dazu in Ihrem Antrag. Stattdessen Schimpf und Schande über den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit. Dabei war es Ihr Minister Seehofer, der diese Kommission ins Leben gerufen hat, meine Damen und Herren.

In einigen Fällen haben wir es auch mit anerkannten Religionsgemeinschaften zu tun. Dann wird die Sache ganz schön kompliziert; denn Religionsgemeinschaften dürfen nicht nur politische Tätigkeiten außerhalb des religiös-geistigen Raumes durchführen; laut Wissenschaftlichem Dienst umfasst das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften sogar das Recht, sich in Organisations-, Glaubens- und anderweitigen Fragen einem anderen Staat unterordnen zu dürfen, meine Damen und Herren.

Es ist immer leicht, Forderungen zu stellen – aber dann muss man auch gucken, wie das funktioniert und ob es überhaupt funktioniert.

Nun, wir räumen jetzt tatsächlich auf. Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie Reformen in der Frage der Ausbildung der Imaminnen und Imame gefunden hat. Seit 20 Jahren diskutieren wir die Frage: Wie und wo bilden wir diese Imame aus? Das Bundesinnenministerium hat mit der Diyanet, die Präsident Erdogan untersteht, eine Übereinkunft geschlossen und wird Teile der Ausbildung durch das Islamkolleg in Osnabrück finanziell unterstützen und mittelfristig die Entsendung über die Diyanet damit beenden. Damit wird auch die Fachaufsicht von der türkischen Religionsaufsichtsbehörde auf die DITIB in Deutschland übergehen.

(Zuruf von der AfD: Na toll!)

Inwiefern die DITIB bis zum Sommer 2024 in Verantwortung für das Personal und mögliches Fehlverhalten gehen kann, bleibt aus unserer grünen Sicht abzuwarten. Die Kritik an der DITIB bleibt also weiterhin bestehen.

Aber wir müssen ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sein; wir sollten ihnen nichts erzählen, was wir dann nicht umsetzen können, auch was die Finanzierung betrifft. Laut Wissenschaftlichem Dienst muss eine Religionsgemeinschaft grundsätzlich selbst entscheiden dürfen, in welcher Weise sie ihre Finanzverhältnisse gestaltet. Anderenfalls würde – Zitat – „dem Staat die Möglichkeit eingeräumt, Religionsgemeinschaften von ihren Geldquellen zu trennen und diese faktisch lahmzulegen“. Liebe Union, Sie merken, wie Ihr Antrag langsam bröckelt und zerfällt.

Und schließlich sind da Ihre Unterstellungen, wir würden den Islamismus vernachlässigen. Das ist natürlich reiner Populismus. Oder vielleicht fällt es Ihnen tatsächlich nicht auf, dass wir, weil Sie in Ihrer Regierungszeit so einseitig auf den Islamismus geblickt haben und andere Bereiche wie der Rechtsextremismus daher so unterbelichtet gewesen sind, wieder einmal Ihre Versäumnisse aufarbeiten müssen. Es kann einem ja wohl kaum entgangen sein, dass wir heute gleich mehrere Parteien haben, die sich in rechtsextremen und populistischen Tönen überbieten – was dann von Ihnen mitunter auch noch verstärkt oder relativiert wird –, wohingegen es doch bei islamistischen Bestrebungen hier im Haus und auch außerhalb einen ganz klaren Konsens gibt.

Nun, meine Damen und Herren, letztlich ist es doch so: Ganz ohne Populismus kommen Sie nicht aus. Das trifft sich dann auch ganz gut mit Ihrem Grundsatzprogramm; der Kollege hat es ja gerade angesprochen. Sie wollen also das Land wieder zurückführen in die 90er- und Nullerjahre, mit Leitkultur- und „Islam gehört nicht zu Deutschland“-Rhetorik. Klar, dass konservative Kommentatoren landauf, landab jubeln und ihr Glück kaum fassen können. Aber „Zurück in die Vergangenheit“ – ich komme zum Schluss – war noch nie ein tragfähiges Zukunftskonzept. Es klingt zwar heimelig und streichelt die Seele aller Privilegierten in diesem Land, aber einen Großteil unserer Bevölkerung lässt es zurück. Unter Volkspartei sollte man doch etwas anderes verstehen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kaddor. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Linda Teuteberg, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Tina Winklmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])