Rede von Denise Loop Prostitution

Denise Loop
23.02.2024

Denise Loop (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland findet Sexarbeit statt. Und natürlich gibt es dabei auch Probleme und massive Missstände. Viele Beispiele wurden hier heute auch schon im Plenum genannt.

Ich selbst habe mir auch ein Bild vor Ort gemacht: in der Kurfürstenstraße und auch in Wohnungsbordellen in Berlin. Ich war mit Beratungsstellen im Gespräch, habe mich mit Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern getroffen. Und ich habe Einblicke in die Situation von Betroffenen von Menschenhandel bekommen. Wir als grüne Bundestagsfraktion wollen die unwürdigen Zustände, insbesondere Menschenhandel und Zwangsprostitution, effektiver bekämpfen und Betroffene besser schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Und die Freier!)

Auch deswegen haben wir erst im letzten Jahr ein Fachgespräch mit Expertinnen und Experten aus Justiz, Polizei und Beratungsstellen genau zu diesem Thema gemacht. Auch vom Innenministerium waren die zuständigen Abteilungen da. Mit der Forderung nach einem Sexkaufverbot machen Sie es sich allerdings zu leicht.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nee, Sie machen’s sich zu leicht!)

Liebe Union, ein sogenanntes Sexkaufverbot kann keine Antwort auf die unterschiedlichen und vielfältigen Problemlagen sein, und es bekämpft den Menschenhandel und die Zwangsprostitution nicht. Und ich will Ihnen auch erklären, warum.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Erklären Sie, was Sie dagegen tun wollen!)

Zuerst einmal müssen wir differenzieren. Auf der einen Seite findet in Deutschland Sexarbeit statt.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Es ist keine Arbeit!)

Auf der anderen Seite finden schwere Menschenrechtsverletzungen in Form von Zwangsprostitution und Menschenhandel statt.

(Leni Breymaier [SPD]: Und wo ist jetzt der Unterschied?)

Dazwischen gibt es einen großen Bereich von sogenannter Armutsprostitution. Das bedeutet, dass Menschen in Notlagen aufgrund von fehlenden Perspektiven und Alternativen in Abhängigkeiten und Zwänge geraten; das hat meine Kollegin Ariane Fäscher schon sehr deutlich ausgeführt.

Wir sehen, wir haben vielfältige Problemlagen, und das kommt in Ihrem Antrag und auch generell in der öffentlichen Diskussion zu wenig vor. Aber eine Differenzierung ist wichtig. Ich will das auch mit aller Deutlichkeit sagen: Vereinfachung, Polemik und ein Aufheizen der Debatte geht immer zulasten der Menschen, um die es geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das sind in unserem Fall Sexarbeitende und Betroffene von Menschenhandel.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Können Sie noch schlafen bei dem, was Sie hier erzählen?)

Was würde denn passieren, wenn wir nun ein Sexkaufverbot einführten? Wir können es erahnen; denn während der Coronapandemie hatten wir ähnliche Bedingungen. Damals gab es ein Tätigkeitsverbot.

(Leni Breymaier [SPD]: Das ist ein großer Unterschied!)

Eine Frau im Bordell erzählte mir von einer Kollegin – ich möchte hier die Anonymität wahren –, dass diese aufgrund von finanziellen Nöten und wegen eines fehlenden Aufenthaltsstatus weiterhin tätig sein musste – trotz eines Verbots. Der Kontakt ist abgebrochen; sie ist aus dem Bordell verschwunden und auch nach der Pandemie nicht wieder aufgetaucht. Die Frau ist ziemlich sicher, dass diese Kollegin weiterhin in der Prostitution tätig ist. Doch sie wurde in die Illegalität gedrängt, und mit hoher Wahrscheinlichkeit erfährt sie auch Gewalt. Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Über 90 Prozent sind im Dunkelfeld! Das ist einfach falsch! – Zuruf der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])

Das ist aber genau das, was bei einem Verbot passieren würde.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein! Einfach falsch!)

Sexarbeit verschwindet eben nicht; sie findet weiterhin statt, nur unter noch viel, viel schlechteren Bedingungen als vorher.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Was tun Sie denn? Was tun Sie dagegen? – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was machen die Grünen? Nichts!)

Die Sexarbeit und auch der Menschenhandel verlagern sich nur noch mehr auf verdeckte und unsichere Arbeitsorte, wo weder Strafverfolgung, Justiz noch – das Wichtigste – Hilfsangebote und Unterstützung Zugang haben. Das wissen wir auch aus anderen Ländern mit ähnlichen Verboten.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist so traurig!)

Das bestätigen wissenschaftliche Studien und auch die Beratungsstellen, die im direkten Kontakt mit den Betroffenen sind.

An dieser Stelle möchte ich auch einmal den Beratungsstellen für ihren unermüdlichen Einsatz für die Sexarbeitenden, für die Betroffenen von Menschenhandel danken.

(Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Sie geben wirklich jeden Tag ihr Bestes, oft mit wenigen Ressourcen. Danke ihnen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Was müssen wir nun stattdessen tun? Wie schaffen wir es, Betroffene – ich glaube, da sind wir uns auch alle einig – zu unterstützen? Wie können wir den Zugang erhalten? Wie können Betroffene Hilfe bekommen? Ich glaube, wir müssen noch einmal unsere gemeinsamen Ziele in den Blick nehmen. Wir wollen Menschenhandel effektiver bekämpfen und Betroffene besser schützen. Wir wollen aber auch die Bedingungen von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern verbessern. Und dafür brauchen wir erst einmal Daten; denn es gibt wenig belastbare Daten in diesem Bereich, sowohl was die tatsächliche Anzahl der Sexarbeitenden als auch was die Zahl der Betroffenen von Zwangsprostitution betrifft.

Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung die Berichterstattungsstelle Menschenhandel am Deutschen Institut für Menschenrechte eingesetzt hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Nichts ist passiert!)

Damit schließen wir endlich die Datenlücke im Bereich des Menschenhandels.

Außerdem läuft gerade die unabhängige Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes. Es wird die umfassendste Untersuchung dieser Art sein, bei der sowohl Sexarbeitende sowie Kundinnen und Kunden als auch die Verwaltung befragt wird. Das Gesetz zusammen mit der Evaluation wurde übrigens von Ihnen, liebe CDU/CSU, verabschiedet, inklusive Zeitplan. Daran möchte ich Sie einmal erinnern; denn das scheinen Sie oft zu vergessen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was ist das für ein Argument?)

Neben der Verbesserung der Datenlage brauchen wir aber auch ein Maßnahmenbündel, um effektiv gegen Zwang und sexuelle Ausbeutung vorzugehen. Dazu gehören unter anderem eine bundesweite Spezialisierung bei der Polizei, den Staatsanwaltschaften und den Gerichten sowie Sensibilisierung und Aufklärungskampagnen gegen Zwangsprostitution und eine ganz zentrale Forderung der Betroffenen,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Maßnahmenbündel? Ja, wo ist denn das?)

nämlich ein Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel, unabhängig davon, ob sie gegen ihre Täter/-innen aussagen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dass diese wichtige Opferschutzmaßnahme fehlt, ist verwunderlich, wenn Sie immer wieder betonen, dass es Ihnen doch genau darum geht: um den Schutz der Frauen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo haben Sie denn was vorgelegt, Frau Loop?)

Alle diese Maßnahmen zusammen mit weiteren sind notwendig: in Form eines Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Und wo ist der?)

Dieser wird gerade ressortübergreifend erarbeitet.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ah! Stimmt auch nicht! Das erzählen Sie seit zwei Jahren!)

Hier müssen wir dringend vorankommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss und möchte hier im Parlament dafür werben, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, Menschenhandel zu bekämpfen und Betroffene besser zu schützen. Wir brauchen keine Scheinlösungen. Wir brauchen kein Stigma, keine Angst und keine Gewalt. Wir brauchen stattdessen dringend einen Nationalen Aktionsplan und eine nationale Gesamtstrategie.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo ist der denn? Seit zwei Jahren erzählen Sie von diesem Aktionsplan, und den gibt’s nicht! Da würde ich mich schämen!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Gyde Jensen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)