Rede von Sylvia Kotting-Uhl Radioaktive Abfälle

08.10.2020

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Suche nach einem Standort für hochradioaktiven Abfall in Deutschland verlangt eine bisher nicht gekannte Dimension der Transparenz, der Bürgerbeteiligung und der Überprüfbarkeit staatlichen Handelns. Die Sicherung potenzieller Standorte – wie im vorliegenden Gesetzentwurf behandelt – ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir in einem offenen und fairen Verfahren den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für eine Million Jahre finden.

Es handelt sich um eine bundesweite Suche mit gebündelten Kompetenzen auf Bundesebene. Insofern ist der leichte Unmut einiger Länder darüber nachvollziehbar, dass ihre Landesbehörden die Sicherung potenzieller Standorte weitere Jahre übernehmen sollen. Gleichzeitig scheint es hinnehmbar, die erprobte Praxis noch begrenzt fortzuführen.

Der erste Prüfstein für die neue Standortsuche ist der letzte Woche vorgestellte Zwischenbericht. Der Salzstock Gorleben wird kein Endlager. Auf diesen Satz habe ich wie viele Tausend andere Menschen jahrzehntelang gewartet und dafür gekämpft: mit wissenschaftlichen Expertisen, mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss und mit viel persönlichem Einsatz. Nun ist offiziell bewiesen, wie richtig unser jahrzehntelanger Widerstand gegen Gorleben war und wie wichtig die Forderung eines offenen, transparenten und vor allem wissenschaftsbasierten Verfahrens. Gorleben ist wissenschaftlich belegt einer der am schlechtesten geeigneten Salzstöcke für ein Endlager in Deutschland.

Für viele Menschen, vor allem in der Region um Gorleben, ist die offizielle wissenschaftliche Bestätigung dessen, was sie selbst immer vorgetragen haben, eine große Erleichterung. Die jahrzehntelange Auseinandersetzung um den Standort hat aber naturgemäß nicht alle Beteiligten den Schlusspunkt noch erleben lassen. Marianne Fritzen, die große, alte Dame des Gorleben-Widerstands ist nicht die Einzige, die, ohne diese Erleichterung miterleben zu dürfen, zwischenzeitlich verstorben ist. Wie glücklich wäre sie am 28. September 2020 gewesen!

Der Schlussstrich unter Gorleben darf nun nicht falsch verstanden werden. Er ist nicht das Ergebnis des Widerstands. Umgekehrt wird sehr wohl ein Schuh daraus: Ohne den Widerstand wäre der Salzstock Gorleben ein Endlager geworden – ein Endlager mit Defiziten! Aber der Schlussstrich ist das Ergebnis des Vergleichs mit anderen Standorten; eines Vergleichs, dem alle anderen potenziellen Standorte unterzogen sind und weiter unterzogen werden. Der wissenschaftliche Vergleich ist das zentrale Element der neuen Standortsuche.

Und deshalb ist der Ausschluss von Gorleben nun nicht die Aufforderung an die in den Teilgebieten und potenziellen Standorten lebenden Menschen, ihre Energie auf den Widerstand zu konzentrieren, sondern vielmehr die, sich auf das Verfahren einzulassen und es kritisch-konstruktiv zu begleiten. Nicht nur das Endlager Gorleben ist beendet, auch die Methode Gorleben.

Das neue Verfahren ist aufwendig und anspruchsvoll. Um es zum Erfolg zu führen – einem klar nach wissenschaftlichen Kriterien definierten bestmöglichen Standort für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle –, braucht es Unterstützung, nicht nur aus der Bundespolitik und allen Bundesländern – ja, auch Bayern! –, sondern vor allen Dingen aus der Zivilgesellschaft. Regiert das NIMBY-Prinzip (Not in my backyard), wird es schwer. Wird das Verfahren im Grundsatz angenommen, kritisch-konstruktiv begleitet, wo nötig, auch verbessert, ist die Chance auf den bestmöglichen Schutz vor der Langzeitwirkung der hochradioaktiven Abfälle groß. Dazu möchte ich alle hier im Parlament und in der Zivilgesellschaft einladen.