Rede von Canan Bayram Rechtsbeistand

17.10.2019

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Der Regierungsentwurf dient der Umsetzung der Prozesskostenhilfe-Richtlinie (PKH-Richtlinie), durch die Beschuldigten in Strafverfahren das Recht auf eine effektive Verteidigung durch Zugang zu einem Rechtsbeistand gewährleistet werden soll.

Die Bundesregierung hat die Richtlinie zum Anlass genommen, das Recht des Beschuldigten auf eine effektive Verteidigung zu erschweren. Das im deutschen Strafprozessrecht bewährte Modell der notwendigen Verteidigung wird beibehalten. Dieses ist gleichwertig zum Prozesskostenhilfemodell in Strafsachen, da es den Bedarf eines Beschuldigten an einem Pflichtverteidiger voraussetzt und die gerade im frühen Verfahrensstadium des Strafverfahrens schwer zu beantwortende Frage der Bedürftigkeit weniger stark gewichtet. Der Bundesregierungsentwurf sieht vor, dieses schützende System bei der Verteidigerbestellung auszuhöhlen.

Die Bestellung von Pflichtverteidigern zeichnet sich nach bisherigem Recht dadurch aus, dass eine Mitwirkung durch den Beschuldigten in den von der Strafprozessordnung genannten Fällen nicht erforderlich ist. Das Gesetz sieht für eine notwendige Verteidigung vor, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite gestellt wird. Der Beschuldigte wird dadurch im Strafverfahren gestärkt beziehungsweise handlungsfähig. Es ist daher scharf zu kritisieren, dass der Regierungsentwurf die Einführung eines Antragserfordernisses für die Bestellung eines Pflichtverteidigers einführt. Diese Regelung ist ein Eingriff in die Rechte des Beschuldigten auf ein faires Verfahren. Nur wenn sichergestellt ist, dass sich ein Beschuldigter ordnungsgemäß in einem Strafverfahren verteidigen kann, sind die Grundzüge eines fairen Verfahrens gewährleistet. Durch das Antragserfordernis werden gerade Bürger benachteiligt, die zum ersten Mal mit Strafverfolgungsorganen in Berührung geraten. Klare Strukturen und gesetzliche Vorgaben zum Schutze von Beschuldigten im Strafverfahren dienen gerade auch unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger.

Ob der Fall einer Pflichtverteidigerbestellung ohne Antragserfordernis des Beschuldigten vorliegt, wird mit der vorgesehenen Gesetzesänderung in die Verantwortung und das Ermessen von Polizeibeamten gelegt, die in der Regel als Erste mit dem Beschuldigten in Berührung kommen. Dadurch wird die Grundlage für eine massive Ungleichbehandlung in Strafverfahren geschaffen. So ist es ein Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Ermittlungen aufnimmt, der seine Laufbahn gerade erst begonnen hat, oder ein Polizeibeamter, der bereits seit Längerem Berufserfahrung sammeln konnte. Für den Fall der besonderen Schutzbedürftigkeit eines Beschuldigten, in dem von dem Antragserfordernis abzusehen ist, werden keine Kriterien vorgegeben, wann eine solche vorliegt. Auch hier kommt es subjektiv auf die jeweilige Situation der Vernehmung und des Vernehmungsbeamten an, ob der Beschuldigte den gebotenen Rechtsschutz erhält. Zugleich regelt der Gesetzentwurf auch nicht die Verpflichtung von Polizeibeamten, im Falle einer notwendigen Verteidigung die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu veranlassen.

Die Regelung, die Vernehmungen des Beschuldigten vor Mitwirkung eines Pflichtverteidigers durchzuführen, wenn der Beschuldigte hierauf verzichtet, ist ebenso stark abzulehnen.

Die Bundesregierung sorgt mit diesem Gesetzentwurf für einen Paradigmenwechsel im Strafverfahrensrecht, der dafür sorgt, dass sogar Bürger, die bereits von Ermittlungsmaßnahmen betroffen waren, nunmehr unaufgeklärt über ihre Rechte im Strafverfahren sind.

Die geplanten Änderungen im Strafverfahrensrecht sind mit dem Rechtsgrundsatz auf ein faires Verfahren nicht vereinbar und daher abzulehnen. Selbst wenn die Bundesregierung sich noch bemüßigen sollte, Klarstellungen in den Gesetzentwurf aufzunehmen, wird es in letzter Konsequenz zu einem massiven Einschnitt in die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren kommen.