Rede von Renate Künast Rechtsextremismus und Hasskriminalität

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12.03.2020

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rechtsextremismus tötet! Er hat seit 1990, also seit der Einheit, fast 200 Menschen getötet. Es hat nicht erst in Kassel, in Halle, in Hanau angefangen, sondern es hat im November 1990 mit der Ermordung von Amadeu Antonio in Eberswalde angefangen. Es gab die Brandanschläge in Mölln, in Solingen. Es gab den NSU, der zehn Menschen in ganz Deutschland getötet hat, und vielleicht gibt es diesen NSU heute immer noch. 2016 gab es 995 registrierte Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Bedrohung ist also weitaus größer; Frau Pau hat es auch gesagt.

Das sind nur die wenigen registrierten Fälle, die öffentlich bekannt sind. Tatsache ist: Jeden Tag werden in diesem Land rassistische, antisemitische, antiziganistische, antimuslimische, frauenfeindliche, homo- und transphobe und behindertenfeindliche Diskriminierungen und Übergriffe getätigt. Jeden Tag findet Entmenschlichung statt, und dem müssen wir alle gemeinsam entgegentreten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind nicht wirklich neu. Neu ist nur ihr Gewand. Sie kommen nicht mehr mit Bomberjacken und Springerstiefeln daher, sondern mit weißem Kragen und Tweedjacket. Sie haben gelernt, das Netz strategisch zu nutzen, sich zu vernetzen, um zu rekrutieren. Das reicht von Reden in Parlamenten bis hin zu Organisationen wie der Bundeswehr mit ihren Spezialeinheiten. Sie alle haben sich miteinander vernetzt, und ihr Ziel ist, die Demokratie zu zerstören. Unser Ziel ist, nun endlich gemeinsam dagegenzuhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es trifft nicht nur uns als Politikerinnen, sondern viele engagierte Menschen, denen wir übrigens danken müssen, weil sie seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus arbeiten und Schutz aufbauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie selbst sind auch persönlicher Gefahr ausgesetzt und leiden darunter. Das betrifft auch demokratische Institutionen, es trifft Journalistinnen und Journalisten. Das, was da passiert, bietet den Nährboden für Taten: Es fängt mit Worten an und endet mit Taten, die manche Menschen das Leben kosten.

In diesem Lichte müssen wir heute auch die Gesetzentwürfe und unsere Maßnahmen diskutieren. Wenn ich mir den Gesetzentwurf ansehe, muss ich sagen, dass er leider noch zu kurz greift. Ich will Ihnen sagen, warum. Wir haben eine ganzheitliche Strategie dem gegenübergestellt. Wir dürfen nicht nur die Folgen bekämpfen mit der Ultima Ratio Strafrecht und BKA; vielmehr müssen wir mehr tun, als nur den Täter zu bestrafen. Wir müssen die Opfer und die NGOs, die heute aktiv sind, in den Mittelpunkt stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deshalb brauchen wir im Kampf gegen Rechtsextremismus Prävention und Opferschutz. Lassen Sie uns doch damit anfangen, dass wir ein Zeichen setzen und das Wort „Rasse“ aus der Verfassung streichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP])

Warum? Es gibt keine Menschenrassen. Wir sind alle Menschen. Es gibt aber rassistische Diskriminierung und rassistische Übergriffe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz. Ich bin es, ehrlich gesagt, leid, dass wir seit Jahrzehnten dafür kämpfen, dass NGOs und Antifagruppen, die sich engagieren, nicht immer um ihr Geld ringen müssen und nur auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge abschließen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das reicht nicht. Sie brauchen eine verlässliche Finanzierung. Wir sind es leid, dass zwischendurch einigen das Geld gestrichen wird, dann wird es wieder angeglichen, dann reden Sie über ein Demokratiefördergesetz. Wir wollen endlich dieses Gesetz. Es gehört zur Bekämpfung des Rechtsextremismus dazu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir brauchen Institutionen, die unabhängig wissenschaftlich arbeiten. Wir brauchen ein restriktives Waffenrecht.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir schon!)

Da geht es eben nicht nur um Sport und sportliche Interessen. Es geht um Menschenleben, meine Damen und Herren! Und diese zu schützen, ist unsere Pflicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen Anlaufstellen und Beratungsstellen, weil Menschen, die Opfer von Rechtsextremismus und Hass sind, alleingelassen werden – im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich will auch einmal eines loben in Ihrem Gesetzentwurf, in dem so vieles fehlt: Das Melderecht ist jetzt immerhin drin – gut so. Ich will auch loben, dass Sie den Auskunftsanspruch für zivilrechtliche Maßnahmen erleichtern. Aber es braucht noch mehr. Es braucht mehr als Strafrechtsänderungen. Es braucht eine breite Struktur, damit sich die Menschen, die Gesellschaft wehren können;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn das Sich-Wehren passiert im Alltag. Denken wir an den Satz von Herrn Böckenförde, dem Verfassungsrichter, der gesagt hat, dass der demokratische Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er selber nicht herstellen kann; das ist eine Zivilgesellschaft, die sich engagiert, und die müssen wir institutionell und in Beratungen unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Ihren Gesetzentwurf auch im Hinblick auf das Strafrecht und das BKA kritisch begleiten. Ich sage Ihnen: Es gibt für Strafrechtsverschärfungen gar keine kriminologischen Daten, die besagen, dass dadurch Straftaten verhindert werden. Strafrahmenerhöhungen helfen nicht, wenn es erst gar nicht zu Anklagen kommt, sondern Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Deshalb meine ich, dass wir die Strafverfolgungsbehörden, Polizei, Staatsanwälte, Gerichte ermutigen und ertüchtigen müssen, in diesem Bereich gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit tatsächlich auch einmal Anklageschriften zu verfassen. Wir müssen sie qualifizieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Das Einzige, was ich dazu gefunden habe, ist die Broschüre „Rassistische Straftaten erkennen und verhandeln“. Wir brauchen diese Fortbildung. Wir brauchen aber keine Vorverlagerung von Strafbarkeit, wie Sie es bei den §§ 140 oder 241 StGB machen. Die bayerischen Vorschläge im Hinblick auf Beleidigung sind übrigens sogar besser. Wir brauchen beim BKA – das will ich durchaus loben – eine zentrale Stelle – Herr Reusch hat es nicht verstanden; das wundert mich nicht –,

(Lachen des Abg. Dr. Christian Wirth [AfD])

die eben keine Poststelle ist, die weiterleitet, sondern die selber Lagebilder und Analysen erstellt, wo sich das Zentrum des Rechtsextremismus befindet. Das ist richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Falsch ist, dass sämtliche Daten – am Anfang noch einschließlich der Passwörter – sofort von jedem übermittelt werden dürfen, meine Damen und Herren. Wir brauchen eine Klarstellung dazu, was Bestandsdaten sind. Wir brauchen ein zweistufiges System. Wir brauchen eindeutige Löschungspflichten an dieser Stelle. Warum?

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Künast.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Mein letzter Satz – wirklich!

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Danke sehr.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir müssen Rechtsextremismus mit allen Mitteln bekämpfen. Wir müssen die Opfer stärken, aber die Bürgerrechte erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt hat das Wort die Kollegin Ute Vogt, SPD.

(Beifall bei der SPD)