Rede von Sven-Christian Kindler Regierungserklärung zum Bundeshaushalt

Foto von Sven-Christian Kindler MdB
28.11.2023

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ein schönes Schlusswort, Herr Dobrindt: „Das Land braucht Führung und keine Phrasen.“ Letztere haben Ihre Rede ausgezeichnet; das haben Sie sehr gut zusammengefasst.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei Ihrer Rede hätte ich mir auch ein bisschen mehr Demut gewünscht angesichts der Geschehnisse rund um die Maut, die Sie beschlossen haben. Aber das ist vielleicht eine Stilfrage, bei der wir uns von Ihnen unterscheiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist ja ein billiges Ablenkungsmanöver!)

Herr Merz, ich wollte etwas zu Ihrer Rede sagen. Sie haben sich als Mann der 90er-Jahre geoutet. Jetzt gehen Sie nach hinten, aber ich will trotzdem darauf eingehen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Ich finde es ja gut, dass Sie dazu stehen, dass Sie ein Mann der 90er-Jahre sind. Ich finde es gut, wenn man zu sich selbst steht. Ich wollte nur darauf hinweisen – darauf hat auch der FDP-Kollege Herr Dürr schon hingewiesen –: Ich bin sehr froh, dass der heutige Wirtschaftsminister Robert Habeck heißt und nicht Jürgen Möllemann,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Dürr [FDP]: Na ja!)

um das klar zu sagen. Das mag jetzt hart sein für die FDP. Aber ich glaube, da gibt es einen breiten Konsens in diesem Hause. In den 90er-Jahren, Herr Merz, waren Sie schon im Bundestag. Ich war damals noch in der Grundschule, habe aber schon aufgepasst und weiß, wie die finanzpolitischen Rahmendaten waren.

Ich will Sie noch mal erinnern, wie es war: Theo Waigel war Finanzminister. Die Staatsschulden in Deutschland sind von 600 Milliarden auf 1 453 Milliarden Deutsche Mark gestiegen. Um 850 Milliarden D-Mark sind die Staatsschulden von 1990 bis 1998 gestiegen. Es gab in Deutschland in den 90er-Jahren noch eine Vermögensteuer; die hat Theo Waigel sogar erhöht. Es gab einen Solidaritätsbeitrag. Der Spitzensteuersatz lag bei 53 Prozent. Und die Schuldenbremse war nicht im Grundgesetz. Ich finde es spannend, dass Sie sich an diesen finanzpolitischen Rahmendaten orientieren und sie sich zum Vorbild nehmen wollen. Ich bin gespannt auf Ihre Initiativen dazu in der nächsten Zeit, Herr Merz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesverfassungsgericht hat uns einen klaren Auftrag gegeben. Ich will hier sehr klar sagen: Der zweite Nachtragshaushalt 2021 war ein Fehler. Da kann man nicht drum rumreden. Gleichzeitig hat das Urteil aber massive Auswirkungen für die Staatshaushalte in Bund und Ländern. Aktuell hat Reiner Haseloff per Deutsche Presse-Agentur erklärt, dass er für 2023 und 2024 eine Notlage feststellen lassen will, um das Corona-Sondervermögen, das mit Notlagenkrediten aufgenommen wurde, weiter nutzen zu können. Genauso macht es Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Der Landtag hat für 2023 und 2024 eine Notlage erklärt. Das heißt: Wir haben doch jetzt eine gemeinsame Verantwortung auf Grundlage dieses Urteils. Da darf man sich nicht wegducken. Da muss man auch als Union zu dieser Verantwortung stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, das unterscheidet eben Friedrich Merz und die Oppositionsfraktion der Union hier im Deutschen Bundestag von den Regierungspolitikern, die in Verantwortung stehen. Die CDU-Ministerpräsidenten und andere Politiker, die in Verantwortung stehen, machen sich konkrete Gedanken darüber, wie zukünftige Haushalte aufgestellt werden müssen. Das macht Kai Wegner, das macht Reiner Haseloff, das macht Michael Kretschmer, das macht Hendrik Wüst. Sie alle haben gesagt, dass sie einen Modernisierungsbedarf bei der Schuldenbremse sehen, weil sie sich nach diesem Urteil die Frage stellen: Wie können wir in Zukunft noch Investitionen finanzieren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es stellt sich eben die Frage: Wie können wir in Zukunft investieren? Es hilft der nächsten Generation nicht, wenn es in Schulen durch die Decke tropft. Es hilft der nächsten Generation nicht, wenn die Infrastruktur verrottet, wenn Eisenbahnbrücken gesperrt werden müssen, weil sie nicht mehr befahren werden können. Es hilft der nächsten Generation nicht, wenn die Klimatransformation der Wirtschaft jetzt gestoppt wird. Deswegen müssen wir darüber reden, wie wir diese Investitionen in Zukunft finanzieren können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Weniger Konsum ist die Lösung!)

Wirtschaftspolitisch wäre es sinnvoll, sich an Unternehmen zu orientieren. Jedes große, jedes kleine, jedes mittelständische Unternehmen finanziert Investitionen nicht nur aus Eigenkapital, nicht nur aus laufenden Einnahmen. Es finanziert sie auch aus Fremdkapital, anders gesagt: über Kredite, über Schulden, weil es um nachhaltige Investitionen, um werthaltige Investitionen geht, die neues Vermögen schaffen. Deswegen machen das Unternehmen.

Wir müssen darüber reden, wie wir im Rahmen der Schuldenbremse, die wir nicht abschaffen wollen, aber die wir erweitern und öffnen wollen für Investitionen,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dafür gibt es keine Mehrheit!)

weiterhin Investitionen finanzieren können. Wir freuen uns auf Vorschläge aus der CDU/CSU, und wir freuen uns auf Vorschläge der CDU-Ministerpräsidenten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will es klar sagen: Bei den 60 Milliarden Euro im KTF geht es um Klimaschutz. Es geht um die Einhaltung von Gesetzen. Es geht um die Einhaltung von Abkommen.

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Es geht um das völkerrechtlich verbindliche Pariser Klimaabkommen, und es geht um das Klimaschutzgesetz. Im Kern geht es um Generationengerechtigkeit, nämlich dass auch unsere Kinder, unsere Enkel noch eine Zukunft auf diesem Planeten haben. Darum geht es beim Klima- und Transformationsfonds.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer macht denn gerade das Klimagesetz kaputt?)

Gleichzeitig geht es bei diesen 60 Milliarden Euro auch um die Zukunft der deutschen Wirtschaft. Es geht darum, wie wir grünen Stahl schaffen können, wie wir die Chemieindustrie umbauen können, wie wir die Zementindustrie umbauen können.

(Peter Boehringer [AfD]: Alles Planwirtschaft!)

Es geht darum, dass die Produktion von Solarmodulen und Windkraftanlagen nicht nur in den USA und China stattfindet, sondern hier in Deutschland.

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Es geht darum, dass Batteriezellenproduktion in Deutschland, in Schleswig-Holstein stattfindet. Es geht darum, dass wir die Gebäudesanierung organisieren und finanzieren. Und es geht um die Mobilitätswende, und zwar überall in Deutschland: in Sachsen, in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg, in Schleswig-Holstein, im Saarland, in Bremen, in NRW – überall. Es geht um Zehntausende, Hunderttausende Arbeitsplätze, die wir nicht gefährden dürfen.

Deswegen haben wir eine gemeinsame Verantwortung, das jetzt langfristig zu finanzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese gemeinsame Verantwortung haben wir alle: die Bundesregierung, die Koalition hier im Parlament, die demokratische Opposition und die Landesregierungen. Diese gemeinsame Verantwortung müssen wir jetzt annehmen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Peter Boehringer.

(Beifall bei der AfD)