Rede von Katharina Dröge Regierungserklärung zum Europäischen Rat

Foto von Katharina Dröge MdB
08.02.2023

Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern, während unserer Fraktionssitzung, hat mich die SMS von einer guten Freundin erreicht.

(Zuruf von der AfD: Das ist aber schön! – Weitere Zurufe von der AfD)

Sie schrieb mir erleichtert: Die Familie meines Cousins ist gerettet. – Die Tochter, der Schwiegersohn und die drei kleinen Enkelkinder waren unter den Trümmern des fünfstöckigen Hauses verschüttet worden, in dem sie lebten. Viele Stunden hatte die Familie bei eisiger Kälte ausgehalten, bis sie gestern geborgen werden konnte. Leider erreichte uns einige Stunden später die traurige Nachricht, dass das kleinste Kind im Krankenhaus gestorben ist. Es wurde vier Jahre alt.

Es ist die Geschichte einer Familie in dieser unfassbaren Katastrophe. Ich erzähle sie, weil die unvorstellbare Zahl der jetzt schon mehr als 11 000 Toten, die das Erdbeben in Syrien und in der Türkei gekostet hat, für viele Menschen in unserem Land eben keine Zahl ist. Für viele unserer Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen sind es die Leben ihrer Familienangehörigen und Freunde, um die sie gerade bangen oder trauern. Ich kann nur sagen: Wir hoffen und wir bangen und wir trauern gemeinsam.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Und wir bemühen uns, zu helfen, wo wir können.

Deswegen bin ich der Bundesregierung, bin ich der Außenministerin und der Innenministerin so dankbar dafür, dass sie so schnell gehandelt haben, dass sie wirklich jede Hilfe angeboten haben, die Deutschland an dieser Stelle bieten konnte:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Zelte, Decken, Stromaggregate und Teams, die bei der Suche und Bergung von Vermissten helfen. Danke an das THW, danke an die Malteser und die vielen, vielen anderen, die jetzt gerade im Einsatz sind!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Es ist wichtig, dass die Hilfe überall ankommt, auch in den entlegensten Dörfern in der Türkei, auch in Nordsyrien, wo der bislang einzige offene Grenzübergang zerstört ist. Es müssen hier dringend alle Grenzübergänge geöffnet werden, damit Hilfe ankommt; das ist jetzt wirklich notwendig und zeitkritisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hilfe kommt aktuell aus vielen Ländern dieser Welt, unter anderem auch aus der Ukraine. Das ist ein starkes Zeichen der Solidarität eines Landes, das sich ja gerade selbst in der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg befindet, eines Landes, das gerade selbst mit einer humanitären Katastrophe fertigwerden muss, weil Russland gezielt Wohnhäuser angreift, zivile Infrastruktur, die Strom- und Wasserversorgung, die Krankenhäuser und Schulen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Ukraine nicht nur mit der Lieferung schwerer Waffen unterstützen, sondern auch mit humanitärer Hilfe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Lieferung von Panzern ist wichtig, damit sich die Ukraine schützen und verteidigen kann. Deshalb bin ich so erleichtert, dass sich Deutschland gemeinsam mit einigen anderen Ländern dazu entschieden hat, moderne Kampfpanzer zu liefern. Das wird Leben retten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

An dieser Stelle möchte ich aber auch auf Sie eingehen, Herr Merz. Wenn man bei Karnevalsreden so empfindlich ist, wenn es die eigene Person betrifft,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh Gott!)

dann sollte man seine Worte gut wägen, wenn man über andere spricht. Weil Sie gerade auf die Rede der Außenministerin eingegangen sind, möchte ich einen Kollegen von Ihnen zitieren, der den Ton etwas besser getroffen hat. Herr Kiesewetter hat gesagt: Wir gehen gemeinsam gegen den brutalen völkerrechtlichen Angriffskrieg vor. Nicht anders war die Intention der Außenministerin in dieser Versammlung,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dann muss man es auch sagen! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann muss man es auch sagen! Genau!)

und nicht anders ist sie zu verstehen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie hat es selber noch nicht mal korrigiert bis heute!)

Er hat hinzugefügt: Wer ihr etwas anderes unterstellt, der bedient russische Narrative, und am Ende nützt das nur der russischen Desinformationskampagne.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deswegen sollten Sie auf Ihren Kollegen hören und Ihre eigenen Worte besser wägen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So eine schwache Leistung!)

Wir blicken jetzt auf den Europäischen Rat, der sich natürlich mit der Ukraine beschäftigt, aber auch mit einem anderen Thema, bei dem es um Hilfe und Unterstützung geht. Auch wenn die Debatten von vielen und manchmal auch von Ihnen, Herr Merz, am liebsten nur über Abschiebung geführt werden, sollte es bei der Frage von Flucht und Migration in der Europäischen Union primär erst einmal um Hilfe und Unterstützung gehen, nicht um die Finanzierung von Zäunen an den EU-Außengrenzen, wie es einige leider vorschlagen, sondern um unsere gemeinsame Verantwortung.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, sprechen Sie mal mit den anderen Regierungen!)

Kein Mensch flieht ohne Grund. Niemand verlässt leichtfertig sein vertrautes Umfeld. Das ist der Kern von Flucht und Migration. Deswegen ist es im Kern auch unsere Aufgabe, bei einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik um bessere Schutzstandards zu ringen,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Suchen Sie mal einen Partner!)

um gemeinsame Verantwortung bei der Aufnahme. Es ist gut, dass Deutschland erklärt hat, dass es bereit ist, im freiwilligen Mechanismus voranzugehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sepp Müller [CDU/CSU]: Millionen von Menschen in der Sahara!)

Schaut man sich die Menschen an und die Gründe, warum sie – neben Krieg und Terror – fliehen, dann kann man feststellen, dass sie oft auch aus Not fliehen. Deswegen müssen wir das Thema „Bekämpfung von Fluchtursachen“ genauso in den Blick nehmen. Hierzu gehören Entwicklungszusammenarbeit und zivile Krisenprävention. Das ist kein Nice-to-have; das ist elementare Politik, die wir an dieser Stelle machen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)

In diesem Parlament ist zu recht intensiv um die Frage der Finanzierung der Bundeswehr, unserer Verteidigungsausgaben gerungen worden. Denjenigen, die das so intensiv getan haben, und uns allen wünsche ich, dass wir mit der gleichen Intensität auch darum ringen, wie wir eine entsprechende Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe in diesem Haushalt abbilden können, eins zu eins, genau so, wie es unser Koalitionsvertrag vorsieht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben die Entwicklungshilfe doch gekürzt!)

Das zweite große Thema, das auf dem Europäischen Rat verhandelt wird, ist der amerikanische Inflation Reduction Act. Die USA haben hier ein Zeichen gesetzt, das Zeichen, dass man voll auf Klimaschutz setzt.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Und das ist gut so. Ein Stück weit ist es aber auch eine Ansage an den Rest der Welt: Wer jetzt noch meint, klimaneutrale Technologien ausbremsen zu müssen oder zu können, der gefährdet am Ende den Wirtschaftsstandort Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Ich sage ganz klar in Richtung derjenigen, die in diesem Land immer wieder aufs Zögern, aufs Zaudern und aufs Bremsen gesetzt haben: Eine vernünftige Energieversorgung ist erneuerbar.

(Zuruf von der AfD: Wie in Frankreich!)

Die Industrie der Zukunft setzt auf grünen Wasserstoff, und der Antrieb von Autos ist elektrisch. So einfach ist das.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)

Um nichts anderes geht es hier gerade.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wer diese Politik nicht verinnerlicht, wer immer noch glaubt, am Alten festhalten zu können, den frage ich: Wo wollen Sie wirtschaftspolitisch eigentlich gerade hin? Wo ist der Mut in der CDU geblieben? Wo ist eigentlich die Innovationskraft, von der Sie immer erzählen, die Sie vor sich hertragen? Wie glauben Sie ein Land wirtschaftspolitisch aufstellen zu können, wenn Sie jeden Zukunftstrend immer weiter blockieren und an den Technologien der Vergangenheit festhalten?

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Eijeijei!)

Das ist am Ende keine vernünftige Wirtschaftspolitik. Das schadet nicht nur dem Klima; das schadet auch der Wirtschaft in Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Merz, uns ist aufgefallen: Sie haben den Namen der Kommissionspräsidentin noch nie in einer Ihrer Reden erwähnt.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Doch! Gerade eben!)

Sie heißt Ursula von der Leyen

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Gerade eben!)

und gehört der CDU an. Die hat zum Glück eine sehr klare Antwort auf diese Frage gefunden.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie haben Ihre Rede aufgeschrieben, bevor Sie mir zugehört haben!)

Sie hat ein Paket vorgeschlagen, das Europa grün machen wird, das in Zukunftstechnologien investiert. Sie verantwortet mit dem „Fit for 55“-Paket jetzt ein modernes Paket für Klimaschutz in der Europäischen Union. Ich würde mir wünschen, die Union wäre stolz auf diese Kommissionpräsidentin, statt einfach nur über diese Politik zu schweigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Dröge. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Alice Weidel, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)