Rede von Britta Haßelmann Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 20./21. Oktober 2022

Foto von Britta Haßelmann MdB
20.10.2022

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von diesem Gipfeltreffen muss ein Signal der Geschlossenheit ausgehen, und ich bin mir sicher, das wird es auch – Geschlossenheit, um unser gemeinsames Vorgehen bei den Sanktionspaketen, bei der finanziellen, humanitären und militärischen Unterstützung deutlich zu machen, zu unterstreichen und klarzumachen, dass sie das schärfste Schwert gegen Putin sind. Die europäische Geschlossenheit, die Geschlossenheit der G 7 und der internationalen Staatengemeinschaft sind in dieser Krise das wichtigste Pfund, das wir haben, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Gleichzeitig werden hoffentlich – davon gehen wir aus – ganz klare Signale ausgehen. Europäische und nationale Maßnahmen gegen hohe Energiepreise werden Hand in Hand gehen – dafür machen wir uns stark –: der gemeinsame Einkauf von Gas, die Senkung des Verbrauchs, die Diversifizierung von Energiequellen durch Erneuerbare, ein Booster für erneuerbare Energien und eine Übergewinnsteuer, die zur Abfederung sozialer Härten in den Nationalstaaten – je nach Lage in Europa – dient. Das werden die gemeinsamen Botschaften sein und die Aufträge, die wir uns wechselseitig erteilen. Es ist gut und wichtig, dass dieses Signal so vom Europäischen Rat, von Europa ausgehen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, wir verurteilen die jüngsten massiven Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine. Die Mobilisierung in Russland, die Allianz mit Weißrussland, die völkerrechtswidrige Annexion der besetzten Gebiete, die Angriffe auf so viele unschuldige Menschen – all das zeigt die wahnsinnige Irrationalität dieses brutalen Angriffskrieges. Es zeigt aber auch, dass Putin immer mehr in Bedrängnis gerät; denn er führt den Krieg gegen die Menschen, die Zivilbevölkerung. Es trifft sie alle so grausam und hart, es ist brutal. Das bereitet mir und uns große Sorgen. Gestern nun noch die Verhängung des Kriegsrechts in den sogenannten annektierten Gebieten – hier sollen neue Spannungen geschürt werden, ein vermeintlicher Angriff der Ukraine auf vermeintlich russisches Territorium. Dabei ist doch klar: Es gibt kein russisches Kriegsrecht auf ukrainischem Territorium, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

1 100 ukrainische Orte, Siedlungen, Dörfer sind ohne Strom. Angriffe auf Wohnhäuser, auf Krankenhäuser, auf Versorgungseinrichtungen, auf Spielplätze – die Zivilbevölkerung soll in Angst und Schrecken versetzt werden. Die Menschen leiden in dieser Situation unglaublich. Deshalb ist jede Kraftanstrengung nötig, und deshalb dürfen wir auch nicht nachlassen in unserem Engagement – weder humanitär noch wirtschaftlich noch beim Wiederaufbau noch bei der Frage hinsichtlich der Beitrittsperspektive zur EU und auch nicht, was die Waffenlieferungen angeht. Meine Damen und Herren, jeden Tag müssen wir uns fragen: Tun wir genug? Was können wir noch leisten? Das ist unsere Aufgabe im europäischen Verbund.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Merz, wer hier einerseits die Solidarität mit der Ukraine einfordert, wer mehr Solidarität einfordert, sich dann andererseits auf solche Weise gegenüber geflüchteten Menschen aus der Ukraine äußert,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Meine Güte! Fällt Ihnen nichts Neues ein?)

dem will ich an dieser Stelle sagen – ich habe es an anderer schon getan –: Das hat wehgetan, wirklich wehgetan und geschmerzt. Ihre halbseidene Entschuldigung hat daran nichts geändert. Dass Sie sich in dieser schrecklichen Situation so abwertend und populistisch gegenüber geflüchteten Menschen in der Ukraine geäußert haben, ist unverzeihlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Und kurz nach Ihrer Entschuldigung wurde bei diesem Thema weiter nachgelegt. Ich finde, Sie sollten das überdenken; denn wir haben hier alle eine große Verantwortung gegenüber den Menschen, die noch in der Ukraine sind, die in ihrem Land bleiben und kämpfen, und gegenüber denen, die hier sind und sich nichts sehnlicher wünschen, als wieder zurückzugehen in ihre Heimat, die so bedroht ist. Deshalb lassen Sie die Finger davon, mit Populismus in dieser Art und Weise zu arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Meine Güte!)

Meine Damen und Herren, und wieder haben wir hier gerade den Vorwurf gehört: Jetzt handelt mal endlich!

(Zuruf des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])

Wo sind Sie eigentlich in dieser Situation?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Wo sind Sie, wo übernehmen Sie Ihre Verantwortung in der größten Krise dieses Landes und der größten Krise Europas? Statt sich in Fundamentalopposition zu verkriechen, müssen Sie Verantwortung übernehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist unmöglich! Was haben Sie denn für ein Demokratieverständnis!)

Jetzt mal kurz zum Vorwurf, diese Regierung handele nicht.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Hilflos!)

Meine Damen und Herren, wir haben zwei Entlastungspakete zur sozialen Abfederung auf den Weg gebracht. Diese sind für Menschen, für Handwerk, für Wirtschaft eine Unterstützung. Da können Sie hundertmal sagen, das sei nicht der Fall. Es wirkt! Energiepreisbremse, Unterstützungsleistungen für Rentnerinnen und Rentner, für Studierende,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Für Studierende haben Sie doch noch gar nichts gemacht! Wo ist denn Ihr Gesetz? Sie reden doch nur!)

Erhöhung der Grundsicherung usw. – das sind alles Maßnahmen, die gezielt die sozialen Härten in diesem Land abfedern sollen. Und das ist gut und wichtig so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])

Dann planen wir einen 200-Milliarden-Abwehrschirm. Sie sollten nicht einfach nur sagen: Das läuft nicht gut. – Machen Sie doch mal einen Vorschlag!

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Machen Sie doch einen Vorschlag!)

Wo sind Sie denn da? Sie verkriechen sich in Ihren Löchern und erklären jeden Tag, wir würden nicht handeln.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Gasumlage! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ein Fall von interessengeleiteter Einsichtsblockade!)

Weil Sie da vielleicht eine kleine Stütze brauchen, sage ich Ihnen kurz, was diese Bundesregierung gemeinsam, was Robert Habeck mit seinem verantwortlichen Ministerium und die anderen Ministerinnen und Minister auf den Weg gebracht haben: die Verpflichtung zum Befüllen der Gasspeicher, die Forcierung des Netzausbaus, den Ausbau der Windenergie,

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Die Gasumlage haben Sie vergessen!)

den schnelleren Ausbau der LNG-Terminals, die Ausgleichsregelung beim Wasserstoff, die Anpassung der Ausschreibungsmengen für Wind und Solar, die Effizienzstandards für den Gebäudesektor, das Energieeffizienzgesetz,

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Atomkraft!)

die Aufhebung der Abstandsregeln, die lange den Ausbau der Windenergie blockiert haben,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

die Anpassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des Energiewirtschaftsgesetzes, des Bundesbedarfsplangesetzes und zahlreiche Verordnungen.

Ich weiß, es tut Ihnen weh, wenn man das aufzählt;

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nein, überhaupt nicht!)

denn das zeigt, dass konkret gehandelt wird, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Und darum geht es in dieser Krise. Genau darum! Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Verantwortung übernehmen und sich konstruktiv in die Lösungssuche einbringen, meine Damen und Herren.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Stimmen Sie einfach unseren Vorschlägen zu! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wir legen Gesetzentwürfe vor! Sie kriegen das nicht hin!)

Wir sind in einer schweren Krise. Da ist das notwendig.

(Henning Rehbaum [CDU/CSU]: Wie hilflos ist das denn?)

Lassen Sie mich zuletzt noch sagen, als Bitte und zugleich als Aufforderung: Wir wissen, was die fossile Abhängigkeit von Russland für unser Land in dieser Krise bedeutet. Wir haben das in den vergangenen Monaten gesehen. Wir sollten, wenn wir über China diskutieren, dringend berücksichtigen, was uns die zementierte fossile Abhängigkeit von Russland gekostet hat. Keine Fehler in Bezug auf die Chinapolitik, meine Damen und Herren! Das ist notwendig, und das steht jetzt an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Tino Chrupalla.

(Beifall bei der AfD)