Rede von Britta Haßelmann Regierungserklärung zum Europäischen Rat durch Bundeskanzler Scholz

Foto von Britta Haßelmann MdB
22.06.2023

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Regierungsvertreter/-innen! Außerhalb der Sache dachte ich gerade: Mein Gott, ein bisschen Stützbeifall wird gebraucht.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jens Spahn [CDU/CSU]: Ihr habt ja nicht geklatscht bei eurem Kanzler!)

So schien es gerade zu sein; denn inhaltlich, Herr Merz, war das nicht zu begründen. Ich meine, wenn Sie es nötig haben, die wichtige Reise von Herrn Heil und von Frau Baerbock auf diesem Niveau zu kommentieren, dann haben Sie, glaube ich, noch nicht ganz verstanden, welche Bedeutung und Relevanz diese Reise der beiden für die wirtschaftliche Zusammenarbeit, eine menschenrechtsorientierte Politik und auch den internationalen Klimaschutz hat. Aber das steht halt für sich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Was ist jetzt mit Mercosur?)

Beim Europäischen Rat geht es um eine Fülle von Themen; das haben wir gerade in der Regierungserklärung von Olaf Scholz gehört. Insbesondere geht es um die Frage: Wie geht es jetzt mit der Unterstützung der Ukraine als wichtigem Signal vonseiten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union weiter? Ich glaube, dass es wirklich von zentraler Bedeutung ist, auch nach 16 Monaten dramatischen Kriegs und angesichts der furchtbaren Situation für die Menschen in der Ukraine, an die auch ein Stück weit Gewöhnung stattgefunden hat, immer wieder deutlich zu machen, dass wir hier in Deutschland und in Europa an der Seite der Ukraine stehen und dass wir nicht nachlassen werden in unserem Engagement, die Ukraine humanitär, wirtschaftlich und mit Waffen zu unterstützen; denn das braucht die Ukraine in diesem furchtbaren Krieg,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

in diesem furchtbaren Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, der im Angesicht ausbleibender militärischer Erfolge Russlands zunehmend brutaler, zunehmend schmutziger wird.

Die dramatischen Folgen der Sprengung des Staudamms konnten wir alle sehen. Wir konnten sehen, was diese Katastrophe für die Menschen humanitär bedeutet: Sie hat nicht nur den Entzug der Lebensgrundlagen und die Zerstörung der Lebensorte zur Folge, sondern auch massive ökologische Auswirkungen für die nächsten Generationen und Auswirkungen auf die Welternährung. Denn bei einer solch großen Region, wie sie durch diese Katastrophe vernichtet und ihrer Grundlagen beraubt wurde, wird es Jahrzehnte dauern, bis sich dieses Land, bis sich die Natur, die Umwelt, die Menschen und das ganze ökologische System davon erholen. Das zeigt uns auf dramatische Art und Weise, wie furchtbar dieser Krieg ist und wie furchtbar die Folgen für die Menschen in der Ukraine sind.

Deshalb ist es gut und wichtig, dass bei der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz Regierungsvertreter aus 61 Ländern sowie Investoren und Unternehmen anwesend waren und finanzielle Hilfen zugesagt worden sind. Sie werden sich mit der Ukraine-Fazilität, mit der Militärhilfe und dem Fonds, der dazu noch einmal aufgestockt wird, beschäftigen und so zusammen mit dem elften Sanktionspaket deutlich machen: Wir stehen an der Seite der Ukraine. Wir stützen sie, und wir machen uns bereits in dieser Situation Gedanken darüber, wie wir sie beim Wiederaufbau unterstützen können. – Das ist ein ganz wichtiges und zentrales Signal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, über die Sicherheits- und Friedensordnung und ihre Gefährdung haben wir hier schon sehr oft diskutiert. Wir alle wissen darum: Ein freies Land mitten in Europa wird auf diese brutale Art und Weise völkerrechtswidrig angegriffen, und das hat Auswirkungen auf die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung. Deshalb ist es richtig und gut, dass der Europäische Rat sich auch mit diesem Thema befasst.

An dieser Stelle, Herr Merz, verstehe ich Ihre Kritik überhaupt nicht. Es würde helfen, die Nationale Sicherheitsstrategie einfach mal zu lesen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Offensichtlich sind wir die Einzigen, die sie gelesen haben!)

In der letzten Woche, als wir darüber diskutiert haben, brachten Ihre Fachabgeordneten es fertig, ihre Kritik darauf zu reduzieren, dass ihnen die Broschüre nicht gefiel, weil darin zu viele Hochglanzfotos seien. Das wird dem Charakter dessen, was die Bundesregierung hier auf den Weg gebracht hat, in keiner Art und Weise gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Wenn Sie einfordern, dass die Länder beteiligt werden – ich war letzte Woche in der Debatte dabei –: Ja, wir werden über viele zentrale Fragen der Nationalen Sicherheitsstrategie nicht nur auf europäischer Ebene reden. Wir werden auch mit den Bundesländern darüber zu reden haben. Denn „Nationale Sicherheitsstrategie“ ist sehr breit gefasst: von Cybersicherheit über Bevölkerungsschutz bis hin zu vielen, vielen weiteren Fragen, zum Beispiel des Sondervermögens, des Verteidigungsetats und, und, und.

Ich hätte erwartet, dass in der Debatte auch Landesvertreter anwesend gewesen wären. Aber glauben Sie nicht, dass auch nur ein einziger Landesvertreter anwesend war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Es waren doch Ihre Minister, die sich beklagt haben! Was hat denn der Hamburger Innensenator zu dem Thema gesagt?)

Kein einziger Innenminister der Länder war präsent! Das fand ich sehr bedauerlich. Das werde ich auch noch persönlich zum Ausdruck bringen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Es ist keine Strategie, sondern eine Broschüre, die Sie da gemacht haben!)

– Aber ich weiß gar nicht, warum Sie da so jaulen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das nennt man „reden“ und nicht „jaulen“!)

Ich habe es gesehen: Da war niemand. Mich hat das bei der massiven Kritik, die da gekommen war, irritiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ja, es ist wichtig und notwendig, dass wir uns über die Fragen des Sondervermögens und der Sicherheitsstrategie auch im europäischen Kontext verständigen. Das werden wir auch tun.

Auch im Hinblick auf das 2-Prozent-Ziel verstehe ich Ihre Kritik nicht. Denn im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie und der Diskussion dazu in den Ressorts ist doch ganz klar vereinbart worden – das können Sie in diesem Heft, in dieser Strategie lesen –, dass die Verteidigungsfähigkeit im Sinne der Erreichung des 2-Prozent-Ziels und mithilfe des Sondervermögens jetzt aufgebaut wird. Daran arbeitet diese Bundesregierung mit Unterstützung des Parlamentes.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Sie tun doch gar nichts dafür! Gar nichts!)

Von daher: Ihre kleinteilige Kritik ist in dieser Sache völlig unangemessen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was für ein Blödsinn! Sie revidieren sich doch selber die ganze Zeit!)

Es geht darum, Themen wie die europäische Kooperation und viele mehr zu vertiefen. Das steht beim Europäischen Rat an, meine Damen und Herren, und das ist wichtig und gut.

Im Hinblick auf die China-Strategie ist es wichtig, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten, die Sicherheit von kritischer Infrastruktur und auch die Frage des De-Riskings zu diskutieren. Und das tun wir gemeinsam mit den Europäerinnen und Europäern; da ist eine gute Grundlage gelegt. Dazu findet sich gleich auf Seite 12 der Nationalen Sicherheitsstrategie ein ausführliches Statement, wie man eine zukünftige China-Strategie im Hinblick auf China als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ einzuordnen hat.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist doch ein alter Hut, keine Strategie!)

Wenn Sie sich dazu so kritisch äußern, erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich damit in der Sache auseinandersetzen und das hier auch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Menschen ertrinken im Mittelmeer. Das ist grausam, aus unser aller Sicht. Es gibt Rechtsverstöße ohne Ende. Und es gibt so menschenunwürdige Zustände in vielen Lagern. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir über eine gemeinsame europäische Asylpolitik und das Asylsystem reden. Aber ich sage Ihnen: Wir stehen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass es zu Verbesserungen kommt.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Also weniger Migration!)

Denn dass 23 von 27 Ländern sich bisher nicht bereit erklären, Kinder aus dem Grenzverfahren herauszunehmen, ist ein untragbarer Zustand. Wir müssen daran arbeiten, dass sich das ändert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: So ein Blödsinn! So ein Unfug!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel.

(Beifall bei der AfD)