Rede von Dr. Konstantin von Notz Registerzensus
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist gut, dass wir uns als Parlament intensiv mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Erprobung von Verfahren eines Registerzensus und zur Änderung statistikrechtlicher Vorschriften beschäftigt haben. Denn die hierzu erst am Montag im federführenden Innenausschuss durchgeführte Anhörung hat gezeigt, dass einige Fragen zuvor noch nicht ausreichend beleuchtet wurden. Statt auf diese – aus Sicht meiner Fraktion durchaus berechtigten – Fragen und Anregungen einzugehen und sie zu beantworten, hat die Große Koalition es vorgezogen, den Punkt gleich heute wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Ihr Vorgehen am Ende der Wahlperiode hat leider, man kann es nicht anders sagen, System. Eine angemessene parlamentarische Beratung sieht anders aus, und aus diesem Grund, aber auch aus Respekt vor den geladenen Sachverständigen und der uns zur Verfügung gestellten – nun nicht berücksichtigten – Expertise wird meine Fraktion ihrer Vorlage heute nicht zustimmen können. Dass Sie das Thema heute ohne Debatte im Plenum aufsetzen wollten und nun als letzten Tagesordnungspunkt spätnachts aufgesetzt haben, spricht Bände. Insgesamt entspricht das Vorgehen keinem ordentlichen parlamentarischen Verfahren. So entstehen schlechte Gesetze.
Lassen Sie mich noch einmal unmissverständlich klarstellen: Gute Datengrundlagen sind wichtig für eine faktenorientierte Politik und Planung. Wir sperren uns keineswegs gegen den registergestützten Zensus und die Erprobung von Verfahren für eine registerbasierte Gewinnung der Zensusdaten aus bereits in der Verwaltung vorhandenen Daten ohne primärstatistische Befragungen. Ganz im Gegenteil!
Wir haben aber den Eindruck, dass Sie altbekannte Fehler wiederholen und lange bekannte Probleme nicht angehen. Dies gilt beispielsweise für den Umstand, dass Sie weiterhin mit Klar- oder Echt- statt mit synthetischen Daten operieren, obwohl hierfür auch nach Ansicht der bei der Anhörung geladenen Expertinnen und Experten keine Notwendigkeit besteht. Auf dieses Problem habe ich hier bereits vor zwei Jahren hingewiesen; notwendige Änderungen haben Sie nicht vorgenommen.
Auch ist uns unklar, warum man beispielsweise, obwohl wir auch hierüber seit Jahren diskutieren, weiter Hilfsmittelmerkmale wie die Religionsgemeinschaft oder die Steuer-ID miterfasst. Eine überzeugende Begründung hierfür haben wir nie gehört. Auch ist uns nicht klar, warum Sie Schutzmechanismen, Stichwort „4‑Corner-Modell“ und „Datenschutzcockpit“, um die wir bei der Registermodernisierung hart gerungen haben und mit denen Sie mit Ach und Krach einen Vermittlungsausschuss abwenden konnten, nun nicht auch für die Registererprobung nutzen.
Es ist richtig, wir sind aufgrund einer EU-Verordnung verpflichtet, einen registergestützten Zensus durchzuführen. Aber natürlich lässt der EU-Rechtsrahmen Gestaltungsmöglichkeiten. Diese Spielräume bei der konkreten Ausgestaltung im Sinne der Effizienz und eines effektiven Grundrechtsschutzes nutzen Sie jedoch nicht. Vielmehr ist das registergestützte Zensusverfahren schon heute von Kostensteigerungen, Zeitverzögerungen und Pannen gekennzeichnet.
Die nun erneut vorgebrachte Kritik aus der Anhörung haben Sie nicht aufgegriffen, sondern mit ihren Änderungen lediglich auf eine Stellungnahme des Bundesrats und die in der Gegenäußerung der Bundesregierung angeregten Änderungen reagiert.
Dabei wurde ein Überarbeitungsbedarf doch durchaus deutlich. Er betrifft beispielsweise auch die Frage der Löschung von Daten. Hier verweisen wir auf die Ausführungen des Bundesdatenschutzbeauftragten. Dieser weist in seiner am gestrigen 5. Mai 2021 (!) nachgereichten Stellungnahme noch einmal darauf hin, dass die „Anforderungen an eine hinreichend bestimmte und normenklare Definition des Erprobungszeitraums, aus der sich auch ein eindeutiger Rahmen für die Löschung der verarbeiteten Daten ergeben würde … nicht erfüllt werden“. Zudem weist der Beauftragte darauf hin, dass er aufgrund der extrem kurzfristigen Zusendung des Änderungsantrags der Großen Koalition in seiner Stellungnahme für die Anhörung keinen Bezug auf diese Änderungen nehmen konnte. Unmissverständlich deutlich wird, dass der Beauftragte der Meinung ist, dass sich bezüglich dieser Änderungen weiterer, dringender Nachbesserungsbedarf ergibt, allein schon aus Fehlern, die sich durch teils abweichende Formulierungen ergeben.
Deutlich wird auch hier: Ist Ihr Umgang mit den – teils ehrenamtlich arbeitenden – Sachverständigen bereits absolut unangemessen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, ist es der Umgang mit dem Datenschutzbeauftragten allemal.
Lassen Sie mich zur Registermodernisierung noch ein paar allgemeinere Worte sagen, die auch in der Anhörung hier und da bereits anklangen: Eine modernisierte Registerlandschaft und eine damit einhergehende, durchgehende Modernisierung öffentlich verwalteter Datenbestände sind zentral für eine moderne und effizient arbeitende Verwaltung. Dieses Thema sind Sie, trotz seit Jahren vorliegender Aufforderungen, nie bzw. viel zu spät angegangen, was sich spätestens jetzt rächt.
Dem von Ihnen in der allerletzten Schlaufe dieser Wahlperiode vorgelegten Vorschlag zur Registermodernisierung auf Grundlage der Steuer-ID als registerübergreifendem Identifier begegnen weiterhin sehr ernstzunehmende verfassungsrechtliche Bedenken. All unsere sowie die gut begründeten Argumente der Datenschutzkonferenz, des Wissenschaftlichen Dienstes des Hohen Hauses, des Deutschen Anwaltsvereins und zahlreicher Bürgerrechtsgruppen haben Sie in den Wind geschlagen. So können wir nur alle zusammen hoffen, dass sich Ihr Vorgehen, wenn das Verfassungsgericht in einigen Jahren über die Rechtmäßigkeit entscheidet, nicht bitter rächt und Sie damit den gesamten OZG-Prozess gefährden. Das wäre schlicht verheerend für das notwendige Vorankommen beim Thema E‑Government.