Rede von Ottmar von Holtz Religionen in der Entwicklungszusammenarbeit

Foto von Ottmar von Holtz MdB
21.03.2024

Ottmar Wilhelm von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Unionsfraktion! Lieber Herr Rachel, Sie sprechen mit Ihrem Antrag ein wichtiges Thema an. Schade nur, dass Ihr Antrag viel zu kurz greift.

Es ist ja richtig, dass, wie Sie schreiben, religiöse Akteure bei Abwesenheit des Staates oder in Kriegs- und Konfliktlagen enorm wichtig sind. Ebenso stimmt es, dass Hilfswerke der evangelischen und der katholischen Kirche einen wichtigen Beitrag in der Entwicklungszusammenarbeit leisten. Ich habe großen Respekt vor all den Menschen, die sich aus christlicher Nächstenliebe für andere Menschen einsetzen. Aber es gibt viel mehr Organisationen als die christlichen. Es gibt zum Beispiel Islamic Relief, eine bedeutende, große Hilfsorganisation aus der islamischen Religionsgemeinschaft, die sich zum Beispiel bei Aktion Deutschland Hilft, VENRO usw. engagiert.

Auch erkennen Sie in Ihrem Antrag die Ambivalenz von Religionen an. Religionen werden in vielen Regionen unserer Erde instrumentalisiert. So bereiten in Ghana und übrigens auch in Uganda, Herr Rachel, Freiprediger durch ihre Hetze gegen queere Menschen das Feld, um durch Gesetz verordnete Diskriminierung gesellschaftsfähig zu machen.

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Und beim Blick auf die Umtriebe der Evangelikalen in Brasilien oder in den USA – es sind nicht nur die Islamisten, Herr Friedhoff – läuft es mir kalt den Rücken runter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zwei der Kernprobleme von Religionen sind ihr Allmachtsanspruch und ihr Sendungsbewusstsein. Daraus resultieren leider viele Konflikte, die wir selbst dort sehen, wo Religionen nicht zwangsläufig zur Machtabsicherung missbraucht werden.

Umso bedeutender ist es, dass wir bei Projekten der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedensarbeit die religiösen Partner identifizieren, die sich einem friedlichen Miteinander verschrieben haben. Und das geht dann weit über das hinaus, was Sie in Ihrem Antrag beschreiben.

Beispiel indigene Völker – sie wurden bereits angesprochen –, auch sie haben religiös begründete Rituale und Lebenswelten. Heiner Bielefeldt

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Guter Mann: Heiner Bielefeldt!)

und Volker von Bremen haben dies in ihrem Gutachten zum 3. Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, den die Kollegin erwähnt hat, gut beschrieben:

„Indigene Spiritualität und Religiosität“

– so heißt es dort –

„lässt sich in der Förderpolitik nicht auf einen umgrenzten ‚Sektor Religionʼ limitieren, in dessen Rahmen partnerschaftliche Zusammenarbeit mit religiösen Akteuren und Institutionen gestaltet wird. Denn wie bereits dargelegt, ist indigene Spiritualität in allen Lebensbereichen präsent“

– schreiben sie –,

„auch dort, wo es um vermeintlich rein technische, ökonomische oder organisatorische Fragen geht.“

Das muss Folgen haben für alle Programme der Entwicklungszusammenarbeit, die die Interessen der indigenen Völker berühren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umstände, unter denen indigene Völker weltweit christianisiert wurden, waren alles andere als zivilisiert. In einen Antrag über die Rolle von Religionen gehört deshalb zwingend die deutsche und europäische Kolonialvergangenheit, die Missionstätigkeit und die damit verbundenen dunklen Kapitel bis hin zu den Folgen, die noch heute wirken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und nicht zuletzt: Vergessen wir auch bitte nicht die Menschen, die keine Anhänger von Religionen sind. Für sie stehen keine organisierten Gemeinschaften ein. In Deutschland haben wir die Humanistische Union, aber weltweit ist der Regelfall anders. Es darf nicht sein, dass Menschen diskriminiert werden, weil sie sich nicht zu einem Glauben bekennen, egal zu welchem. Auch sie haben das Recht, sich frei entfalten zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass wir bei diesem Thema ganz verschiedene Herangehensweisen haben.

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ein bisschen mehr Toleranz!)

Insofern bin ich gespannt auf die Ausschussberatungen, wo wir das Thema dann vertiefen können.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)