Helge Limburg MdB
18.01.2024

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich bin und bleibe tatsächlich Grüner, Herr Präsident.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Gesetzentwurf basiert in der Tat auf geäußerten Wünschen und Bitten der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten; aber im Rahmen der parlamentarischen Beratungen hat es Änderungen gegeben. Das ist, denke ich, normale gelebte parlamentarische Praxis. Wir sind der Gesetzgeber, und wir haben diese Aufgabe in der Tat sehr ernst genommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch ich möchte mich zu Beginn ausdrücklich bei den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen bzw. den Vizefraktionschefs bedanken für sehr intensive, auch sehr kontroverse, aber am Ende sehr konstruktive Gespräche, die mit diesem Gesetzentwurf einen guten Abschluss finden.

Ich empfehle ausdrücklich die Zustimmung – nicht weil dieses Gesetzesvorhaben jetzt den Vorstellungen meiner Fraktion und meiner Partei von einer geordneten und gleichzeitig humanen Migrationspolitik entspricht, sondern weil es ein politischer Kompromiss von verschiedenen Sichtweisen, Interessen und Forderungen ist und weil ein vertretbarer Kompromiss wesentlich ist für unser demokratisches System und nicht geringgeschätzt werden sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Im Gesetz verbleiben an mehreren Stellen verfassungsrechtliche Bedenken. Gegenwärtig ist schon zur alten Rechtslage eine Verfassungsbeschwerde anhängig bezüglich der Frage, wie der Grundrechtsschutz der Wohnung, der auch in Geflüchtetenunterkünften gilt, sich bei Betretung durch die Polizei im Abschiebefall auswirkt. Es ist möglich, dass das Urteil erneut Korrekturen an diesem Gesetz notwendig machen wird. Unabhängig davon, wie Karlsruhe am Ende entscheidet, bleibt es natürlich ein schwerwiegender Eingriff, auch in die Zimmer völlig unbeteiligter Dritter eindringen zu können. Um es klar zu sagen: Dieser Gesetzentwurf entbindet keine Behörde und keine beteiligte Person von der Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Helge Lindh [SPD] und Stephan Thomae [FDP])

und zwar von einer Abwägung zwischen den legitimen rechtsstaatlichen Abschiebeinteressen des Staates und den Grundrechten der angesprochenen unbeteiligten Dritten. Grundrechte gelten auch für Geflüchtete und dürfen nicht aus reinen Zweckmäßigkeitserwägungen eingeschränkt werden. Es gibt keine Grundrechte erster und zweiter Klasse in diesem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist bereits dargestellt worden: Es hat einige Verbesserungen am Gesetzentwurf gegeben. Zum Beispiel ist klargestellt, dass Durchsuchungen in Gemeinschaftsunterkünften nur durch staatliche Stellen, nicht durch private Sicherheitsdienste durchgeführt werden können; da scheint große Einigkeit zu bestehen. Es ist bei den Vorschriften zur Strafbarkeit von Identitätstäuschung klargestellt worden, dass nur wirklich vorsätzliche Identitätstäuschungen bestraft werden. Die viel häufigeren Fälle, dass falsche Angaben gemacht werden, weil es zu Missverständnissen, Übersetzungsfehlern und Ähnlichem kommt, werden ausdrücklich nicht bestraft, und das ist auch richtig so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Meine Damen und Herren, die Frau Ministerin hat es angesprochen: Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah die Möglichkeit vor, unter bestimmten Umständen, bestimmten Konstellationen auch die Seenotrettung von Geflüchteten zu kriminalisieren. Auch wenn es Versuche aus dem Innenministerium gab, zu beruhigen, und verkündet wurde, es sei nicht so gemeint gewesen, finde ich doch, dass allein die Gefahr, dass deutsche Seenotrettungsorganisationen wegen ihrer humanitären Tätigkeit mit Strafverfolgungsmaßnahmen überzogen werden, ausgeschlossen werden muss. Die humanitäre Seenotrettung ist durch das Völkerrecht und durch das Grundgesetz nicht nur gestattet, sondern sogar geboten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Darum ist es richtig, dass wir diese gesetzgeberische Klarstellung hier haben. Seenotrettung bleibt natürlich auch in Zukunft erlaubt bei Erwachsenen und erst recht bei Minderjährigen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sollte sich herausstellen, dass es hier doch noch rechtliche Unklarheiten, Ungenauigkeiten gibt – das werden wir uns anschauen –, dann wird es natürlich auch da eine Klarstellung geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist angesprochen worden: Der Gesetzentwurf sieht in der Tat erstmalig eine Pflichtbeiordnung eines Anwalts für Personen, die in Haft oder Ausreisegewahrsam kommen, vor. Im Strafrecht ist die Pflichtbeiordnung vor einigen Jahren ausgeweitet worden, ist dort die Regel. Für die Abschiebehaft fehlte sie bislang völlig. Wir sind ein demokratischer Rechtsstaat. Zu einem Rechtsstaat können nach rechtsstaatlichen Verfahren natürlich auch Abschiebungen gehören. Aber zu einem Rechtsstaat muss doch erst recht gehören, dass ein Mensch, der staatlicherseits eingesperrt wird, wenigstens anwaltlichen Beistand hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ein Anwalt ist kein Zauberer. Er kann keine rechtmäßige Abschiebung verhindern. Aber da, wo Rechtsfehler vorliegen, kann und soll er darauf hinwirken, sodass diese Rechtsfehler geheilt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Unterstellung, dass die Hinzuziehung eines Anwalts Abschiebungen verhindert, enthält die implizite Unterstellung, dass bislang massenhaft rechtswidrige Abschiebungen vollzogen wurden,

(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

eine bemerkenswerte Einschätzung der Tätigkeit unserer Behörden durch die Unionsfraktion hier im Deutschen Bundestag!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Um es ganz klar zu sagen: Die öffentliche Diskreditierung anwaltlicher Arbeit in einem Rechtsstaat muss endlich aufhören! Unsere Anwältinnen und Anwälte, egal in welchem Fachbereich, leisten einen wichtigen Beitrag für rechtsstaatliche Verfahren in jedem Rechtsgebiet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Hakan Demir [SPD])

Im Übrigen: Die konkrete Regelung orientiert sich sehr eng am bayerischen Polizeigesetz. Insofern ist gerade die Kritik aus der CSU in keiner Weise ernst zu nehmen.

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf erleichtert Arbeitserlaubnisse für Geflüchtete; das finden wir gut. Wir hätten uns noch weiter gehende Regelungen vorstellen können. Aber vielleicht werden wir da zu einem späteren Zeitpunkt noch mal rangehen, je nachdem, wie die Erfahrungen aus der Praxis und auch der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind. Kein Mensch versteht, dass wir es Menschen, die motiviert sind, die sich hier ein Leben aufbauen wollen, in einer Zeit, in der händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, bislang verbieten, zu arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verlängerung der Bezugsdauer von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist natürlich ein schwerwiegender Einschnitt für Betroffene. Es ist gut, dass wir zumindest Bestandsschutz für diejenigen haben, die jetzt schon aus der Bezugsdauer herausgerutscht sind. Aber klar ist, dass wir alles tun müssen, um Menschen so kurz wie möglich in dieser eingeschränkten Sozialleistung und vor allem eingeschränkten Gesundheitsversorgung, die am Ende für den Staat sogar noch teurer werden kann, zu halten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, es muss einen schnellen Abschluss der Verfahren geben, um diesen Zeitraum zu beschränken.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Gesetzentwurf wird, wenn wir ehrlich sind, viele Probleme der Kommunen wie fehlenden Wohnraum und fehlende Infrastruktur nicht lösen, sondern wir brauchen hier noch viel weiter gehende Maßnahmen und Unterstützung der Kommunen.

Bei allen Diskussionen darüber muss es aber Grenzen geben.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Infragestellung der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention und des Grundrechts auf Asyl muss ein Ende haben!

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Diese Lehren – auch aus Verbrechen des NS-Regimes – gehören doch zu unseren Grundwerten, die wir hier in Deutschland und in der Europäischen Union verteidigen und schützen sollten, gerade in schwierigen Zeiten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gottfried Curio, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)