Rede von Beate Müller-Gemmeke Rückkehrrecht in Vollzeit

28.09.2018

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Endlich ist sie da, die Reform des Teilzeitrechts. Und ich würde Ihnen, Herr Minister, eigentlich sehr gerne gratulieren; denn uns Grünen ist dieses Thema ein besonderes Anliegen. Aber was lange währt, wird nicht automatisch gut. Das zeigt sich auch bei dieser Reform.

Was heute hier vorliegt, ist nicht mehr als ein erster Schritt. Die Gratulation fällt also aus.

(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Man muss immer den ersten Schritt vor dem zweiten machen! Sonst fällt man hin!)

Es ist ein Gesetz, das viel verspricht, aber wenig hält. Das ist uns Grünen einfach zu wenig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber worum geht es eigentlich bei diesem Thema? Es geht in erster Linie um Frauen. Die einen wollen weniger arbeiten, die anderen mehr. Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es geht um Zeitsouveränität, eigenständige Existenzsicherung und um die Absicherung im Alter. Das sind alles zentrale Themen, die bei einer Reform im Mittelpunkt stehen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mehr als 75 Prozent aller Frauen waren 2017 erwerbstätig. Fast die Hälfte von ihnen arbeitet in Teilzeit. Zwei Drittel aller Teilzeitbeschäftigten sind also Frauen. Wenn sich die Lebenslage verändert, wenn die Kinder beispielsweise größer geworden sind, dann wollen viele Frauen wieder länger arbeiten. Das wollen sie übrigens, weil sie wie Männer, gleichberechtigt, am Arbeitsleben teilhaben wollen. Dann schnappt aber häufig die Teilzeitfalle zu – nach dem Motto: Einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Das hat für die Frauen gravierende Folgen: weniger Weiterbildung, geringere Aufstiegschancen und ein kleineres Einkommen. Das führt häufig direkt in die Altersarmut. Damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit komme ich konkret zum Gesetz: Wenn es um die Verlängerung der Arbeitszeit geht, werden die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit dem neuen Gesetz dazu verpflichtet, mit den Frauen darüber zu reden. Sie müssen auch Gründe darlegen, wenn sie Arbeitswünsche ablehnen. An dieser Stelle hätten Sie, Herr Minister, mutiger sein müssen; denn unter dem Motto „Schön, dass wir mal darüber geredet haben“ wird sich für die Frauen, die heute schon in Teilzeit sind und länger arbeiten wollen, rein gar nichts verändern. Das kritisieren wir scharf; denn an dieser Stelle ist das Gesetz harmlos und schwach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Tack [SPD]: Das stimmt nicht! – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zahnloser Tiger!)

Neben dem Aspekt, dass Frauen länger arbeiten wollen, geht es aber natürlich auch um die Beschäftigten, die sich beweglichere Arbeitszeiten wünschen. Damit meine ich Männer und Frauen. Die Lebensentwürfe der Menschen sind unterschiedlich; auch die verschiedenen Lebenslagen sind unterschiedlich: Pflege, Kinder, Ehrenamt, Weiterbildung. Es geht darum, dass die Beschäftigten kürzer und dann wieder länger arbeiten wollen. Deshalb soll es die Brückenteilzeit geben. Die Idee ist gut. Die Umsetzung ist aber schlecht; denn es gibt zu viele Hürden. Das macht die Brückenteilzeit viel zu eng und zu starr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wer in einem Unternehmen mit bis zu 45 Beschäftigten arbeitet, der hat überhaupt kein Recht auf Brückenteilzeit.

(Kerstin Tack [SPD]: Aber die Möglichkeit, Frau Kollegin!)

Das ist die erste Hürde. Dabei ist die Zahl 45 völlig aus der Luft gegriffen und willkürlich gewählt. In Unternehmen mit 46 und bis zu 200 Beschäftigten gibt es dann die sogenannte Zumutbarkeitsgrenze. Als zumutbar gilt nur eine Brückenteilzeit pro 15 Beschäftigten. Das ist die zweite Hürde. Dann können die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Brückenzeit natürlich auch noch ablehnen, und zwar ganz einfach aus betrieblichen Gründen. Und das ist die dritte Hürde.

Erfolgversprechende Rahmenbedingungen sehen wahrlich anders aus. Wenn Sie es mit der Brückenteilzeit tatsächlich ernst meinen, dann müssen Sie auf doppelte und dreifache Hürden verzichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und dann ist die Brückenteilzeit auch noch zu starr und unflexibel. Sie kann von einem Jahr bis zu fünf Jahre dauern; weniger geht nicht, mehr auch nicht. Und wenn die Brückenteilzeit einmal vereinbart wurde, sind Veränderungen vom Gesetz her nicht vorgesehen. Im Voraus ist aber das Leben nicht wirklich planbar. Lebenssituationen können sich verändern. Dem wird die Brückenteilzeit in keiner Weise gerecht. Auch das kritisieren wir; denn die Beschäftigten brauchen echte Zeitsouveränität, damit Arbeit besser ins Leben passt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sehr geehrte Regierungsfraktionen, geht es um das Thema Teilzeit, dann brauchen insbesondere die Frauen eine wirkungsvolle Reform. Sie müssen gestärkt werden. Stattdessen werden mit diesem Gesetz die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit Samthandschuhen angefasst und in Watte gepackt. Die Brückenteilzeit für die Beschäftigten ist viel zu eng und starr, und in der Konsequenz werden viel zu wenige davon profitieren. Für die Frauen, die schon heute in Teilzeit arbeiten und gerne ihre Arbeitszeit verlängern wollen, wird das Gesetz überhaupt nichts verändern. Das ist zu wenig, das ist zu schwach. Es ist ein Gesetz, das viel verspricht, aber nur wenig hält. Das zeigt: Sie haben leider wieder einmal eine Chance verpasst.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)