Rede von Manuel Sarrazin Russland
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2004 habe ich in Sankt Petersburg zum ersten Mal Boris Pustinzew getroffen. Der inzwischen verstorbene Menschenrechtler und Bürgerrechtler sagte mir damals, wenn ihm jemand in Russland sage: „Früher war alles besser“, würde er antworten: „Und heute kannst du es sagen.“ Ein paar Jahre später traf ich Boris wieder – so ungefähr im Jahr 2008; wir haben viele Jahre lang eng zusammengearbeitet –, und ich fragte ihn, ob er das heute auch noch so sagen würde. Er sagte: Nein, das würde er nicht. – Und damit ist der Rahmen für diese Debatte klar gesetzt.
Wir Grüne standen und stehen an der Seite der russischen Zivilgesellschaft, die mehr denn je unterdrückt ist. Das ist unser Partner in Russland an allererster Stelle.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Denn Freundschaft mit Russland ist nicht einfach nur getan durch Kuscheln mit dem Kreml. Versöhnen mit Russland ist nicht einfach nur getan durch Versöhnen mit dem Kreml. Die Zukunft der deutsch-russischen Freundschaft hängt nicht vom Bau einer korrupten Pipeline ab, sondern vom Dialog der Zivilgesellschaften,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
vom respektvollen und ehrlichen Umgang miteinander, mit den anderen Partnern in Russland und auch den anderen Partnern in der EU und in der Region. Deswegen wollen wir und bieten wir mit unserem Antrag mehr Kooperation mit Russland an.
Aber: Wer so tut, als ob Kriege und Repression, Autokratie und politische Morde diesen Dialog nicht erschweren würden, der ist nicht aufrichtig und nicht ehrlich, nicht gegenüber dem Kreml und auch nicht gegenüber den Menschen in Russland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dialog, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist richtig und wichtig, selbst dann, wenn er erfolglos sein sollte. Aber es gehört zur Politik dazu, sich offen die Karten zu legen. So wie der Kreml gegen die Zivilgesellschaft, gegen die freie Presse in Russland vorgeht, so ist der Dialog ein Selbstzweck – leider.
Trotzdem ist es richtig, den Dialog zu führen. Aber der Dialog nur mit diesem System wird keine Brücken bauen. Das sollte klar sein – auf das Gegenteil hoffend – und auch klar formuliert werden. Deswegen reicht es nicht aus, wenn die scheinbar einzige Strategie der Bundesregierung das Gespräch, der Dialog, manchmal das Beschwichtigen mit dem System Putin ist, wenn der Kreml zum alleinentscheidenden Faktor für Frieden in Europa stilisiert wird, wenn hinter Dialog mit Putin letztlich die fehlende Hoffnung in die russische Gesellschaft und in ihre Veränderungsfähigkeit zu stehen scheint. Denn die russische Gesellschaft ist vielfältiger, politischer, europäischer, demokratischer und betroffener vom System Putin, als wir es hier in Deutschland oftmals sehen. Deswegen wollen wir Brücken nach Russland bauen zu unseren Partnern in Russland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zur Arroganz gegenüber Russland gehört nicht, die Realität der Autokratie anzusprechen, sondern diese vor den Menschen in Russland zu verschweigen. Wer eine Brücke bauen will – das war schon 1975 in Helsinki klar –, der muss diese Brücke zur Gesellschaft und vor allem zur Zivilgesellschaft in Russland bauen und klarmachen, dass Deutschland und die EU an ihrer Seite stehen, bereit zu mehr Kooperation in allererster Linie an der Seite der Zivilgesellschaft in Russland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen klarmachen, dass die Basis für den Dialog die gemeinsamen Werte und Prinzipien sind – so wie Willy Brandt es angedacht hat, so wie Helsinki es gezeigt hat –, dass demokratische Freiheiten und Menschenrechte keine Ansichtssache sind. Wir erwarten, dass der Dialog auch mit der kritischen Zivilgesellschaft und mit der freien Presse geführt werden kann – nicht nur, aber auch. Dazu gehören Herr Nawalny, das Zentrum Liberale Moderne, der Deutsch-Russische Austausch, EPDE, „Meduza“, das Forum russischsprachiger Europäer und Memorial – wie auch der Kreml.
(Beifall des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Dialog, reden – das werden wir sowieso. Aber wir sind zu mehr Kooperation bereit: mit Russland, nicht nur mit Gazprom, Rosneft oder mit Putin.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Vielen Dank, Manuel Sarrazin. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Christian Schmidt.
(Beifall bei der CDU/CSU)