Linda Heitmann
15.03.2023

Linda Heitmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Teil der Gesetzesreform, die wir hier heute diskutieren, ist die Reform des § 64 im Strafgesetzbuch mit dem Ziel, den Maßregelvollzug dadurch zu entlasten, dass weniger Menschen mit Suchterkrankung künftig zu einem Aufenthalt im Maßregelvollzug verurteilt werden. Wir begrüßen dieses Ziel; denn der Maßregelvollzug in Deutschland platzt aus allen Nähten. Die vorgeschlagene Reform ist das lang erarbeitete Ergebnis einer konstruktiven länderübergreifenden Arbeitsgruppe.

Aber, ich glaube, wir sollten uns auch bewusst sein: Die Reform des § 64 verpflichtet uns bzw. die Länder, auch andere Reformen jetzt zügig anzugehen; denn auch weiterhin werden Menschen mit Suchterkrankungen in diesem Land Straftaten begehen. Das ist auch der Grund, warum ich als Gesundheitspolitikerin und Berichterstatterin für Drogen- und Suchtpolitik hier heute reden wollte. Künftig werden suchtkranke Straftäter/-innen seltener im Maßregelvollzug, aber häufiger im regulären Vollzug in Deutschland landen. Und das verpflichtet uns bzw. alle Justizministerien der Länder, ganz besonders daran zu arbeiten, dass auch im regulären Vollzug Menschen mit Suchterkrankungen, die therapiewillig sind, bessere Chancen auf eine Therapie ermöglicht werden.

Dazu braucht es ein koordiniertes und einheitliches Vorgehen der Länder. Das fängt schon bei einfachen Dingen an. Wir brauchen endlich eine einheitliche statistische Erfassung in diesem Land: Welche Suchterkrankungen bringen verurteilte Straftäter/-innen mit, wenn sie die Haft antreten? Wir brauchen die Ermöglichung von Substitutionen mit allen verfügbaren Substituten, auch in Haft. Bisher ist es sehr unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern, welche Substitute wo in Haft eingesetzt werden dürfen. Hier muss einfach der Grundsatz gelten: Für jeden Substitutionswilligen muss die Therapie ermöglicht werden, die ihm oder ihr auch wirklich am besten hilft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Kristian Klinck [SPD])

Wir brauchen auch Sprachmittlungsangebote in Haft, um Hilfe und Therapiebedarfe wirklich bestmöglich zu ermitteln. Und schließlich brauchen wir in Haft Möglichkeiten für einen qualifizierten Entzug und Nachsorge, auch unter regulären Haftbedingungen, flächendeckend in diesem Land. Dazu brauchen wir Personal. Wir müssen Stellen in den medizinischen Einrichtungen in den JVAs möglichst attraktiv ausgestalten, um sie auch besetzen zu können.

Das sind nur einige von vielen Begleitmaßnahmen, die es im regulären Vollzug in Deutschland braucht, um die Reform des § 64, die wir hier heute angehen, sinnvoll zu begleiten. Ich appelliere hier wirklich an die Justizministerien der Bundesländer: Machen Sie die Versorgung von suchtkranken Menschen in Haft zum prioritären Thema auf Ihrer nächsten Justizministerkonferenz! Gehen Sie hier Reformen gemeinsam, geschlossen und auch entschlossen an!

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte.

Linda Heitmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Denn nur deshalb, weil wir den § 64 reformieren, werden suchtkranke Menschen, die Straftaten begehen, in Deutschland nicht weniger werden. Sie brauchen weiterhin unsere Hilfe.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Heitmann. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Susanne Hierl, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)