Rede von Canan Bayram Schwarzfahren
Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Frage werfe ich noch einmal auf: Warum ist Falschparken eine Ordnungswidrigkeit, aber das Fahren ohne Fahrschein eine Straftat?
(Stephan Brandner [AfD]: Wurde schon mehrfach erklärt!)
Alle Redner, die wir dazu bisher gehört haben,
(Stephan Brandner [AfD]: Dreimal schon erklärt!)
haben diese Frage in ihren Beiträgen nicht beantworten können,
(Zurufe von der CDU/CSU: Doch!)
sondern haben letztlich darum herumgeredet, weil sie sich der Frage nicht wirklich stellen wollten. Wir wollen das, und wir wollen dieses Problem angehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Solange es den § 265a StGB gibt, gibt es die Diskussion darüber, ob er nicht systemwidrig ist, ob dort eine Tat unter Strafe gestellt wird, von der vielleicht der Täter selbst nicht einmal mitbekommt, dass er damit eine Straftat begeht. Deswegen hat der Kollege von der CDU in erster Linie auf Wiederholungstäter abgestellt, bei denen er die Häufigkeit dieser Handlung herausgestellt hat.
Aber der grundsätzliche Fall ist doch, dass diese Tat geschieht und dass man sich fragt: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass es passiert? Sind es die Verkehrsunternehmen, die nicht genügend gegen eine Nutzung entgegen den Beförderungsbedingungen absichern?
(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Jetzt wird es sehr abstrus!)
Oder muss es das Strafrecht richten? Wir sind der Ansicht: Das Strafrecht muss es nicht richten, sondern diese Tat darf nur eine Ordnungswidrigkeit sein, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit würde für viele Menschen eine Erleichterung bedeuten. Das Thema Ticketpreise hat der Kollege schon ausgeführt. Dazu möchte ich nur sagen: Eigentlich ist Mobilität ein Recht, das im Sinne der Daseinsvorsorge für jeden gelten müsste. Jeder hat das Recht, sich zu bewegen. Dass dies nicht gewährleistet wird, sondern dass Menschen, die kein Geld haben und sich kein Ticket kaufen können, wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis gehen müssen, ist für uns unerträglich. Das wollen wir auf jeden Fall ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Alles für frei!)
Es wurde hier auch darüber diskutiert, wie sich das Ganze auf die Justizvollzugsanstalten auswirkt. Die Zahlen sind genannt worden: In Berlin ist es so, dass ein Haftplatz pro Tag 146 Euro kostet. Bundesweit werden circa 200 000 Euro für diese oft sinnlose Aufgabe ausgegeben. Der Justizvollzug ist auf Menschen mit so kurzen Strafen gar nicht ausgerichtet. Diese Menschen müssen teilweise zwei oder drei Monate im Knast verbringen. Dort kann überhaupt nichts unternommen werden, um ihre Situation zu verbessern.
Viele Menschen haben verschiedene Probleme, seien es psychische Probleme, seien es alltägliche Probleme. Auch der Redner der SPD hat das Argument gebracht: Diese Menschen könnten doch alle soziale Arbeit leisten. Dazu sage ich: Eine sozialdemokratische Partei sollte den Anspruch haben, sich die Sache genau anzuschauen. Wenn man das tut, sieht man: Diese Menschen haben viele Hemmnisse, sodass sie auch Sozialarbeit nicht leisten können.
Ich bin auf die Debatte im Ausschuss wirklich gespannt. Die Debatte hier im Plenum fand ich, ehrlich gesagt, enttäuschend.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Da geht es Ihnen wie mir!)
Bei vielen Beiträgen ist der Eindruck entstanden, dass Sie sich mit der Sache noch nicht inhaltlich beschäftigt haben. Derjenige, der vorne beim Busfahrer einsteigt und seine Fahrkarte nicht oder nur eine gefälschte Karte vorzeigt, macht sich doch heute schon nach § 263 StGB strafbar. Ihn müssen wir doch nicht nach § 265a StGB belangen. Ich hoffe also, dass wir im Ausschuss eine anständigere Debatte führen.
Für uns von Bündnis 90/Die Grünen steht fest: Es gibt ein Recht auf bezahlbare und attraktive Mobilität für alle. Aber sollte es der Bundesregierung gelingen, den kostenlosen ÖPNV durchzusetzen, dann können wir uns diese Debatte über Strafen sparen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)