Tessa Ganserer
15.11.2023

Tessa Ganserer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um zu erfassen, was dieses Selbstbestimmungsgesetz für trans-, intergeschlechtliche und non-binäre Menschen bedeutet, möchte ich ins Bewusstsein rufen, dass transgeschlechtliche, intergeschlechtliche, non-binäre Menschen in unserer Gesellschaft über Jahre, teilweise über Jahrzehnte, ein Leben in Angst vor ihrem Coming-out verbringen, in Angst vor dem, was danach kommt, weil viel zu oft noch Häme, Spott, Hass, Beleidigungen, Herabwürdigungen, Demütigungen traurige Realität für transgeschlechtliche Menschen in dieser Gesellschaft sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Carolin Bachmann [AfD]: So ein Quatsch! Das stimmt überhaupt nicht!)

Ich möchte hier noch einmal deutlich ins Bewusstsein rufen, dass jedes einzelne Recht, das transgeschlechtlichen und non-binären Menschen in dieser Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zugesprochen wurde, von Betroffenen in teilweise jahrelangen Prozessen bis hinauf zu den höchsten Gerichten erst einmal erstritten werden musste. Insofern ist das heute wirklich ein historischer Tag, an dem zum allerersten Mal eine Bundesregierung aus freien Stücken einen Gesetzentwurf zum Schutz der grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte dieser Menschen in den Bundestag einbringt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir schaffen damit das entwürdigende Transsexuellengesetz ab, ein Gesetz, an dem Blut und Tränen kleben,

(Zuruf des Abg. Roger Beckamp [AfD])

ein Gesetz, das durch entwürdigende Begutachtungsverfahren für so viel Leid verantwortlich und in weiten Teilen grundgesetzwidrig ist. Damit entsprechen wir einer Forderung, die der Europarat in einer Resolution zum Schutz der Menschenrechte von transgeschlechtlichen Menschen bereits im Jahr 2015 erhoben hat. Zahlreiche europäische Länder sind ihr bereits gefolgt; Frau Ministerin Paus hat sie bereits aufgeführt. Ich möchte nur ergänzen: Auch die konservative Schweiz hat ein Selbstbestimmungsgesetz, und entgegen allen Befürchtungen ist dort die Zivilisation nicht zusammengebrochen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nein: Im Gegensatz zu Deutschland fahren die Züge in der Schweiz auch heute noch pünktlich.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Deswegen holen wir das, was viele europäische Länder bereits gemacht haben, jetzt nach. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen. Ich weiß, dass unser Gesetzentwurf von weiten Teilen der gesellschaftlichen Mitte getragen wird: vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der Bundespsychotherapeutenkammer, vom Bundesfrauenrat, den Frauen in der evangelischen Kirche, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

(Martin Reichardt [AfD]: Vom Volk wird das nicht getragen! –Zurufe der Abg. Roger Beckamp [AfD] und Beatrix von Storch [AfD])

Ich hoffe, dass wir mutig sind und deren Forderungen nach Verbesserungen im parlamentarischen Verfahren noch ergänzen.

Ich freue mich auf die weiteren Debatten.

(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann ja sein, dass man im Laufe einer solchen, ja durchaus herausfordernden Debatte

(Martin Reichardt [AfD]: Da regnet es Konfetti heute!)

unsere Regeln vergisst. Ich mache vorsorglich darauf aufmerksam, dass es nach wie vor nicht erlaubt ist, hier im Plenum zu fotografieren. Sollte mir nachträglich die Veröffentlichung eines Fotos, welches während der Rede der Kollegin Ganserer entstanden ist, zur Kenntnis gelangen, werde ich die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.

Bevor wir in der Debatte fortfahren, gratuliere ich der nächsten Rednerin, der Kollegin Mareike Lotte Wulf, zu ihrem heutigen Geburtstag.

(Beifall)

Ich erteile Ihnen das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)