Rede von Sven Lehmann Situation LSBTIQ* in Deutschland
Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Sie an Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen denken? Bunte CSDs, feiernde, lebensfrohe, manchmal schrille Menschen? Oder erfolgreiche Minister, Moderatorinnen, Schauspieler, die sicher, selbstbewusst und sichtbar leben? Ja, das ist die eine, sehr, sehr gute Seite.
Die andere Seite aber ist weniger schön: Ängste und Depressionen, eine erhöhte Gefahr, sich selbst das Leben zu nehmen, Gewalt auf offener Straße und ein erhöhtes Risiko von Armut und Obdachlosigkeit. Das sind die sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen von Diskriminierung. Minderheit zu sein, stresst, macht krank und grenzt sozial aus, und es ist unsere Aufgabe als Bundestag, alles dafür zu tun, damit das aufhört.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])
Oft sind Diskriminierung und Abwertung sehr offen, teils lebensgefährlich, oft kommen sie aber auch subtiler daher. Ich habe das selbst persönlich erlebt. Mein eigenes Coming-out war alles andere als einfach. In meiner Familie und in meinem Umfeld haben Menschen mit Angst, Scham und Überforderung reagiert. Bis heute kenne ich persönlich das Gefühl der Angst, wenn ich meinen Mann in der Öffentlichkeit küsse; denn diese harmlose Geste kann bedeuten, im nächsten Moment beleidigt oder sogar zusammengeschlagen zu werden. Genau so geht es vielen LSBTI.
Wir haben gelernt, immer zu hinterfragen, ob es gerade okay ist, etwas zu tun, was für alle anderen Menschen selbstverständlich ist. Oft hört man dann auch noch: Na ja, wenn ihr nicht immer so auffällig wärt, wenn ihr doch einfach normaler wärt, dann hätten wir auch keine Probleme damit. – Dazu sage ich hier und heute sehr klar: Nein, nicht die, die diskriminiert werden, müssen sich ändern, sondern die, die diskriminieren, müssen sich ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU] und Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])
Das ist eine hochpolitische Aufgabe. Dieser Bundestag muss viel mehr aktive Antidiskriminierungspolitik machen. Dazu passt es übrigens nicht, montags die Regenbogenflaggen zu schwenken und mittwochs im Ausschuss zu verhindern, dass der Bundestag diese Woche darüber abstimmen kann, ob LSBTI endlich auch im Grundgesetz geschützt werden. Das ist nicht glaubwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)
Wir brauchen einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit und für Vielfalt, wie wir Grünen ihn heute hier zur Abstimmung stellen; denn mit der Öffnung der Ehe ist eben nicht alles gut.
Wenn ein Kind in eine Ehe mit zwei Frauen hineingeboren wird, rechtlich dann aber nur einen Elternteil hat, dann ist das Diskriminierung. Wenn ein schwuler Mann nur dann Blut spenden darf, wenn er ein Jahr lang keinen Sex hatte, während das für den Hetero mit ständig wechselnden Partnerinnen nicht gilt,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig!)
dann ist das Diskriminierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig!)
Wenn ein transgeschlechtlicher Mensch einfach nur in seinem Geschlecht anerkannt werden will, sich dafür aber jahrelang teuren Zwangsgutachten mit intimsten und entwürdigenden Fragen unterziehen muss, dann ist das Diskriminierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)
Das Transsexuellengesetz verletzt seit 40 Jahren die Würde des Menschen, es verletzt das Recht auf Selbstbestimmung, und es ist überfällig, dieses Gesetz endlich durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Das stellen wir heute hier namentlich zur Abstimmung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)
Es geht hier nicht um irgendein Anliegen, es geht hier um Menschenrechte, und Menschenrechte dürfen nicht immer wieder auf die lange Bank geschoben werden. Es gibt in diesem Bundestag eine politische Mehrheit zur Überwindung des Transsexuellengesetzes, und es liegt vor allem an Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ob diese Mehrheit hier heute zustande kommt.
(Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: So nicht! – Gabriele Katzmarek [SPD]: Falsch! Ganz falsch!)
Wer montags die Regenbogenflaggen schwenkt, muss mittwochs im Bundestag Taten folgen lassen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP] – Gabriele Katzmarek [SPD]: Wir orientieren uns an Hessen! Wir haben uns Hessen als Vorbild genommen!)
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:
Vielen Dank. – Das Wort geht an Bettina Wiesmann von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)