Rede von Lisa Paus Solidaritätszuschlag

15.03.2018

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich reibt sich der oder die andere erstaunt die Augen über diesen erbittert geführten Wettlauf zwischen AfD und FDP darum, wer eigentlich konsequenter und schneller das Symbol für Solidarität in Deutschland abschafft. Stand heute: Die AfD ist ungefähr 365 Tage schneller als die FDP.

Der zweite Blick zeigt aber, dass die AfD hier tatsächlich völlig konsequent handelt. Es ist nämlich falsch, zu meinen, diese Partei sei ja nur gegen Flüchtlinge und gegen Migranten. So ist es eben nicht. Ihr Programm ist die fortschreitende Entsolidarisierung der gesamten Gesellschaft in Deutschland. Wir werden uns dagegenstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das zeigen Sie mit diesem Antrag.

Es gibt aber noch weitere Beispiele. Ich nenne einmal drei:

Keine Solidarität der starken Regionen mit den schwachen Regionen mehr, stattdessen Wettbewerbsföderalismus – das ist AfD.

Dazu gehört auch Ihre Forderung, die Unterstützung der Kommunen bzw. deren Haupteinnahmequelle abzuschaffen. Sie wollen die Gewerbesteuer abschaffen und die Kommunen damit finanziell ausbluten. Das ist Programm der AfD.

Natürlich gehört zum Programm der AfD auch, dass den Alleinerziehenden und ihren Kindern – 40 Prozent von ihnen leben in Armut und sind auf Hartz IV angewiesen – wahlweise die staatlichen Leistungen entweder ganz abgesprochen oder von deren Wohlverhalten abhängig gemacht werden sollen. Auch das ist Entsolidarisierung in Deutschland zulasten der Schwächsten, und dabei machen wir nicht mit, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ihr Vorschlag, den Soli ersatzlos zu streichen, passt sich genau da ein. Es wurde schon darauf hingewiesen: Aktuell betragen die Einnahmen durch den Solidaritätszuschlag 18 Milliarden Euro. In zwei Jahren werden es wahrscheinlich 20 Milliarden Euro sein. 20 Milliarden Mindereinnahmen des Staates: Das merken die Menschen. Denn dann ist eben weniger Geld da für den sozialen Wohnungsbau, für Verkehrsinfrastruktur, Klimaschutz, Bildung und öffentliche Sicherheit.

Aber bei den 20 Milliarden Euro Mindereinnahmen kommt noch dazu, dass der Finanzbuchhalter mit Frau und zwei Kindern und einem Jahresbruttoeinkommen von 50 000 Euro nicht einen Euro davon sehen wird. Auch das wird er merken. Er wird merken: Von diesen 20 Milliarden Euro habe ich nichts.

Auch die alleinerziehende Bäckereifachverkäuferin mit einem Kind mit einem Jahresbruttoeinkommen von 25 000 Euro wird merken: Sie wird davon nicht einen einzigen Euro abbekommen. Der Grund dafür ist, dass Singles erst ab 1 500 Euro brutto im Monat und Familien erst ab 4 000 Euro brutto im Monat überhaupt den Soli zahlen.

Das heißt, die Abschaffung des Soli hilft nicht, gegen die soziale Spaltung in diesem Land anzugehen, sondern sie verschärft die soziale Schieflage. Deswegen warnt der Journalist Hagelüken in der „Süddeutschen“ zu Recht, die Abschaffung des Soli wäre ein Elfmeter für die Populisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass das der AfD passt, ist völlig klar. Aber ich verstehe nach wie vor nicht, warum die FDP, die CDU, die CSU und nach dem Koalitionsvertrag de facto auch die SPD für die Populisten, für die AfD mit einzahlen.

(Albrecht Glaser [AfD]: Alles Populisten!)

Wir machen in der Form da nicht mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist richtig: 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der Soli so nicht mehr zeitgemäß.

(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)

Aber mindestens genauso überfällig ist die Reform der Einkommensteuer bzw. eine spürbare Entlastung der unteren und mittleren Einkommen. Wir brauchen eine faire Entlastung der breiten Mittelschicht in der Gesellschaft, von der auch der Finanzbuchhalter und die Bäckereifachverkäuferin etwas haben, von der auch die unteren Einkommen profitieren.

Deswegen: Lassen Sie uns ein Gesamtpaket schnüren, mit dem wir eine Entlastung bei den Abgaben erreichen und auch die untere Mittelschicht entlasten. Und mit diesem Gesamtpaket starten Sie dann wieder in die Debatte.

Aber so wird das nichts. So wirkt das einzig und allein für die AfD und die Populisten. Denken Sie noch einmal darüber nach!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)