Rede von Lisa Paus Solidaritätszuschlag

11.10.2018

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Und täglich grüßt das Murmeltier: Ich schwanke so ein bisschen zwischen Fasziniertsein und Erschrecktsein, wie erbittert hier in diesem Hause FDP, CDU/CSU und AfD darum ringen, wer die Vorherrschaft beim Thema Soli hat. Das ganze Verfahren ist bisher wirklich ein einziges Lehrstück an Geschäftsordnungstricks – bis in die nächsten Minuten hinein.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das interessiert euch auch gar nicht!)

Aber wenn man es einmal zusammenfasst, dann heißt es eigentlich nur eines: Die FDP unterstreicht erneut, dass sie eine Single-Issue-Partei ist,

(Beifall der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD])

die Steuersenkungspartei, und dass sie die Partei der Besserverdienenden ist. Wenn der Soli, so wie Sie es wollen, ersatzlos abgeschafft wird, dann bedeutet das, dass 80 Prozent der bisherigen Steuereinnahmen bei den Top-20-Prozent der Steuerzahlerinnen ankommen.

Aber die Debatte zeigt eben auch: Es ist nicht nur die FDP, die eine Partei der Besserverdienenden ist. Nein, auch die AfD ist eben nicht die Partei der kleinen Leute, und die CSU hat das ja auch noch einmal deutlich unter Beweis gestellt, insbesondere im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuerreform. Um das einmal für normale Menschen an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Abschaffung des Soli bedeutet für eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 50 000 Euro, dass sie genau 0 Euro mehr hat. Sie spürt also gar nichts davon, wird null entlastet, wohingegen eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 2 Millionen Euro um 50 000 Euro entlastet wird, also genau dieses Einkommen dann nicht mehr an Steuern zahlen muss. Das ist Steuergerechtigkeit à la FDP, AfD und Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Christian Jung [FDP]: Super Beispiel!)

Richtig ist: FDP und Union stehen bei der Bevölkerung tatsächlich im Wort; denn sie hatten ja unter Helmut Kohl das Versprechen abgegeben, dass der Soli nur zeitlich befristet kommen soll. Aber genauso richtig ist eben, dass nach zwölf Jahren Regierung Merkel die unteren 40 Prozent der Bevölkerung nach Abzug der Inflation heute weniger Geld haben als damals, und das muss bei so einer Reform eben auch berücksichtigt werden. Dank der FDP und der AfD hatten wir ein Fachgespräch zu dem Thema. Dazu hatten wir auch Wissenschaftler geladen. Ich zitiere jetzt einmal das DIW, das sagt: Ja, Jahrzehnte nach der Transformation in den neuen Ländern ist der Soli nicht mehr zu rechtfertigen. Aber das DIW sagt auch: die ersatzlose Streichung genauso wenig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE])

Denn angesichts der Belastungswirkung des Soli im Gesamtsteuersystem der Bundesrepublik Deutschland stellt das DIW fest: Der Solidaritätszuschlag wurde in den letzten 20 Jahren bei den Spitzenverdienern in Deutschland bereits doppelt abgeschafft,

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Was ist das denn?)

und deswegen sollte man das eben nicht einfach tun. Der Punkt ist nämlich, dass Studien zeigen, dass die gesamte Steuerbelastung in Deutschland eben nur schwach progressiv ist.

Ja, es stimmt: Einkommensteuer und Unternehmensteuer, auf die sich der Solidaritätszuschlag bezieht, haben eine ausgeprägt progressive Steuerlastverteilung. Aber diese Steuern machen eben nur weniger als die Hälfte des Gesamtsteueraufkommens in Deutschland aus. Die andere Hälfte entfällt auf die Mehrwertsteuer, auf Verbrauchsteuern, auf andere indirekte Steuern, und die haben allesamt eine regressive Belastungswirkung. Da zahlen eben die armen Haushalte relativ zu ihrem Einkommen deutlich mehr an Steuern. Deswegen ergibt sich in der Gesamtsumme, dass Spitzenverdiener seit den 1990er-Jahren nicht nur beim Spitzensteuersatz entlastet wurden, weil die Unternehmensteuer gesenkt wurde, die Abgeltungsteuer eingeführt wurde, die Vermögensteuer abgeschafft wurde, die Erbschaftsteuer auf Unternehmensübertragung praktisch beseitigt wurde und die Topeinkommen in diesem Zeitraum deutlich stärker als die Durchschnittseinkommen gestiegen sind. Das heißt: Geringverdiener und die Mittelschicht, deren Einkommen häufig kaum gestiegen ist, wurden stärker belastet.

Die Quintessenz ist, dass die Steuerbelastung im untersten Einkommensdezil in den letzten 20 Jahren um 5,4 Prozent gestiegen ist. Auch bei den mittleren Einkommen ist die Steuerbelastung um 2 Prozent gestiegen. Aber in den letzten 20 Jahren wurden vor allem die oberen Einkommen entlastet, das oberste Einkommensdezil um 2,3 Prozent, die reichsten 1 Prozent der Bevölkerung um 4,8 Prozent. Der Soli ist also von den Reichen längst nicht mehr bezahlt worden, und deswegen brauchen wir keine ersatzlose Streichung. Was wir brauchen, ist hingegen ein Gesamtpaket mit einer fairen Reform der Einkommensteuer, tatsächlicher Entlastung von Abgaben und Steuern zugunsten der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und einem höheren Spitzensteuersatz ab 100 000 Euro statt wie bisher ab 50 000 Euro.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)