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07.11.2019

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Erinnern wir uns kurz an die Rechtslage, mit der die Opfer des Attentats vom Breitscheidplatz 2016 konfrontiert waren: Nach dem Opferentschädigungsgesetz hätte es Rentenansprüche geben können – aber leider nicht, wenn die Tat mit einem Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Auch für Ausländer sah das Gesetz keine Ansprüche vor. Dafür gab es Ansprüche aus dem Verkehrsopferhilfe-Fonds, der den Sachschaden und das Schmerzensgeld erfasste, aber eben keine Versorgungsrenten. Außerdem sind diese Hilfen auf einen unzureichenden Gesamtbetrag gedeckelt.

Aus dem Härtefonds für Opfer von Terroranschlägen konnten ebenfalls Leistungen erfolgen, allerdings nur nach Ermessen; denn hier wiederum besteht kein Rechtsanspruch. Und als ein Jahr später in Münster ein psychisch Kranker mit einem Auto in eine Menschenmenge raste, fielen die Opfer weder unter das Opferentschädigungsgesetz noch unter den Härtefonds, weil es sich nicht um einen Terrorakt handelte. Diese juristische Komplexität ist nicht nur für die Betroffenen unübersichtlich und ein einziges Durcheinander.

Am Ende hat man eine Härtefallklausel im Gesetz genutzt, um die Opfer zu entschädigen, aber die Reformbedürftigkeit der Norm war unübersehbar. Es ist daher gut, dass jetzt immerhin das Opferentschädigungsgesetz und das Bundesversorgungsgesetz in einem modernen und einheitlicheren Sozialgesetzbuch XIV zusammengeführt worden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind dabei dankenswerterweise unserem Vorschlag aus der letzten Legislaturperiode gefolgt und haben die Ausnahmeregelung für Straftaten, die mittels Kraftfahrzeug begangen werden, gestrichen. Es ist gut, dass jetzt alle gleichbehandelt werden, egal ob bei der Tat ein Pkw zum Einsatz kam oder nicht. Und auch die Staatsangehörigkeit ist kein Ausschlusskriterium mehr.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Noch besser hätte ich es gefunden, wenn Sie noch einen Schritt weiter gegangen wären und auch die Ansprüche auf Schmerzensgeld mit in das Gesetz aufgenommen hätten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre zwar rechtssystematisch ungewohnt, aber aus der Perspektive der Opfer eine Erleichterung, zumal ein Schmerzensgeld eine andere Funktion hat als eine Versorgungsrente.

Richtig ist hingegen, dass der Fonds der Verkehrsopferhilfe in solchen Fällen vorrangig in Anspruch genommen werden muss; denn das neue Gesetz soll schließlich die Opfer und nicht die Haftpflichtversicherer besserstellen.

Wichtigste Verbesserung der Rechtslage ist die Einbeziehung von Opfern psychischer Gewalt wie beispielsweise von schwerem Stalking und Opfern sexueller Gewalt. Schade ist allerdings, dass gerade diese Betroffenen erst für Taten ab 2024 Entschädigungsleistungen bekommen sollen. Dass die Behörden sich auf die neue Rechtslage umstellen müssen, ist aus meiner Sicht keine Rechtfertigung, die Betroffenen weitere drei Jahre schlechterzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Positiv ist die Einführung eines Fallmanagers, damit die Betroffenen möglichst aus einer Hand beraten werden und auch aus einer Hand Leistungen erhalten.

Ebenfalls positiv ist die Beweiserleichterung durch Glaubhaftmachung der schädigenden Straftat, wenn sonst keine Beweismittel vorliegen. Damit ist auch das Erstatten einer Strafanzeige keine Voraussetzung mehr für den Leistungsanspruch. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch die neue Vermutungsregelung in § 4 Absatz 5 für die Fälle der psychischen Gesundheitsstörung. Danach genügt künftig die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.

Die Beweiserleichterung gilt allerdings nicht für den Grad der körperlichen Beeinträchtigung; dieser wird nach der Versorgungsmedizin-Verordnung bewertet und kann sich ohne Mitwirkung des Gesetzgebers jederzeit durch Anpassungen auch zulasten der Betroffenen ändern. Gerade ältere Menschen, die bereits über Jahrzehnte Leistungen beziehen, können jetzt von einer Änderung der Verordnung negativ betroffen sein. Hier ist vergessen worden, den Betroffenen Bestandsschutz für ihre Ansprüche nach altem Recht zu sichern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotz dieser einzelnen Mängel ist das neue Gesetz insgesamt ein großer Schritt in die richtige Richtung, dem wir gerne unsere Zustimmung geben.

Auch ich möchte mich im Namen meiner Fraktion noch einmal ganz herzlich für die wirklich konstruktive interfraktionelle Zusammenarbeit bedanken, ganz besonders bei der Staatssekretärin Kerstin Griese, die das so ermöglicht hat.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident in Claudia Roth:

Vielen Dank, Katja Keul. – Einen schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir und Ihnen weiterhin einen guten Verlauf! Es ist ziemlich sicher, dass es jetzt passiert mit Dr. Matthias Bartke als nächstem Redner.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)