Rede von Marcel Emmerich Speicherung von IP-Adressen

Marcel Emmerich MdB
17.03.2023

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst noch mal auf Sie, Herr Dr. Krings, eingehen, weil Sie hier behauptet haben, dass die Ampelkoalition beim Thema Kinderschutz, bei der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: … nichts tut!)

auf das Prinzip Zufall setzen würde.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau!)

Das ist mitnichten der Fall,

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Doch!)

und das möchte ich entschieden zurückweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Schön wär’s!)

Denn wir setzen auf evidenzbasierte, auf konsequente Ermittlungsarbeit. Es ist auch mitnichten so, dass wir damit keinen Erfolg hätten. Über 90 Prozent beträgt die Aufklärungsquote bei diesen Taten.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Reicht Ihnen das?)

Das ist ein großer Erfolg. Dafür muss man den engagierten Ermittlerinnen und Ermittlern auch Danke sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich will hier noch mal sagen, was das Problem mit dem Vorschlag ist, den Sie vorgelegt haben.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Entschuldigung, Herr Kollege. Erlauben Sie schon eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Krings?

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

(Maximilian Mordhorst [FDP], an den Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU] gewandt: Zu wenig Redezeit?)

Dr. Günter Krings (CDU/CSU):

Ich bin jetzt so oft angesprochen worden. – Ich bedanke mich aber erst mal fürs Zulassen der Frage.

Ich will auch nur einen ganz konkreten Punkt ansprechen. Ich habe selbst in meiner Rede gesagt, dass wir die Aufklärungsquote von 90 Prozent allein durch die Hinweise des NCMEC in den USA als Quelle erreicht haben. Ich bin bzw. wir sind für jeden Fall dankbar, der aufgeklärt wird. Aber es sind immer noch 10 Prozent der Fälle, in denen keine Aufklärung möglich ist, in denen die Kinder nach wie vor in der Hand ihrer Peiniger sind und die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.

Ich möchte daher jetzt in aller Ernsthaftigkeit fragen: Halten Sie das für akzeptabel? Ich tue das nicht, und ich denke, Sie eigentlich auch nicht. Sehen Sie auch Handlungsbedarf dahin gehend, dass wir über das hinaus, was schon passiert – Konsens besteht ja bei der nötigen Personalaufstockung –, noch mehr tun müssen? Wir sind der Auffassung: Dazu gehört eine IP-Adressenspeicherung – keine Bewegungsprofile, sondern nur IP-Adressen als Bestandsdaten –, um möglichst viele der 10 Prozent unaufgeklärten Verbrechen noch ausleuchten und stoppen zu können. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass das eigentlich richtig wäre?

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es sollte für uns alle ein großes Anliegen sein, uns bei der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber über die Instrumente und über die Maßnahmen kann man diskutieren, darüber, wie der Weg dorthin aussehen sollte. Der Kollege Mordhorst hat es schon gesagt: Der Kinderschutzbund hat hier im Deutschen Bundestag schon klar dazu Stellung genommen und gesagt, dass es bei dieser Frage auf die Verhältnismäßigkeit ankommt

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

und dass es auch darauf ankommt, den Grundrechtsschutz von Kindern zu wahren. Das tun Sie mit Ihrem Vorschlag nicht. Stattdessen liegt mit dem Quick-Freeze-Verfahren ein sehr guter Vorschlag von Bundesjustizminister Buschmann vor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Na ja! – Maximilian Mordhorst [FDP]: Finden wir auch!)

Es ist nämlich so, dass Ihr Vorschlag nur darauf setzt, dass endlich die gesetzliche Regelung kommt, mit der wirklich alle Bürgerinnen und Bürger unter Überwachung gestellt werden. Denn was ist es denn anderes als eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, wenn man IP-Adressen anlasslos und auf Vorrat speichert? Dann ist das eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Das ist eine staatliche Massenüberwachung ohne Maß und Mitte, die wir nicht mittragen.

(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Das ist genau der Punkt! Das ist genau das, was der EuGH in Abwägung der Grundrechte zulässt!)

– Zum EuGH-Urteil komme ich jetzt.

Falsch ist auch, dass das EuGH-Urteil Ihrem Vorschlag Rückendeckung gibt. Mir ist wirklich schleierhaft, wie Sie darauf kommen können, dass eine sechsmonatige Speicherpflicht bei IP-Adressen europarechtskonform sein könnte. Für die Ausnahmen von dem grundsätzlichen Verbot der unterschiedslosen Speicherung der IP-Adressen formuliert der EuGH zu Recht strenge Vorgaben, nämlich dass die Speicherung von IP-Adressen zur Kriminalitätsbekämpfung auf das zeitlich – ich zitiere – „absolut Notwendige“ beschränkt werden muss. Wie kommen Sie darauf, dass eine sechsmonatige Speicherpflicht absolut notwendig ist?

(Manuel Höferlin [FDP]: Genau! Sehr richtig!)

Das hat mit Verhältnismäßigkeit überhaupt nichts zu tun. Das ist schlicht und ergreifend unverhältnismäßig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich habe es schon gesagt: Der Minister hat mit dem Quick-Freeze-Verfahren einen rechtssicheren Vorschlag auf den Tisch gelegt – übrigens ein Vorschlag, der im Gegensatz zur IP-Adressenspeicherung schon seit vielen Jahren in der Debatte ist, ein Vorschlag, der auch schon seit vielen Jahren als verfassungsgemäß gilt. Deswegen sollten wir auf diese rechtssichere und praxistaugliche Lösung setzen. Das ist nämlich auch der Vorschlag, der die Bedürfnisse nach Sicherheit und Freiheit nicht gegeneinander ausspielt, sondern endlich in Einklang bringt.

Es geht nicht darum, bei solchen Fragen des Verfassungsrechts immer nur ans Äußerste dessen zu gehen, was irgendwie möglich ist. Vielmehr brauchen wir auch einen politischen Gestaltungsanspruch. Wir brauchen auch politische Motive und nicht nur rechtliche Motive, die wir formulieren, weil wir uns auf Urteile von obersten Gerichten verlassen. Diesen politischen Gestaltungsanspruch erheben wir mit dem Quick-Freeze-Vorschlag. Der stellt nämlich eine grundrechtsschonende und evidenzbasierte Alternative dar. Deswegen unterstützen wir das glasklar.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Maximilian Mordhorst [FDP] – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Das können wir gern zusätzlich machen!)

Sie versuchen seit 16 Jahren, durch die Hintertür oder durch die Vordertür eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen. Dieses alte Theater in neuer Verkleidung muss endlich aufhören. Der EuGH wie auch das Bundesverfassungsgericht haben dem mehrfach eine klare Absage erteilt. Kommen Sie endlich mit anderen Vorschlägen, kommen Sie endlich mit neuen Ideen! Und vor allem: Konzentrieren Sie sich bei der Frage „Wie kann man Kinder schützen?“ nicht nur auf dieses eine Element, nicht nur auf diese eine Ermittlungsbefugnis! Stellen Sie sich mal breiter auf und beziehen Prävention ein, um beim Thema Kindeswohl nicht nur eine Scheindebatte zu führen!

(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Dann schauen Sie mal, was in Nordrhein-Westfalen alles schon geschieht!)

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als Nächstes erhält das Wort Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)