Rede von Renate Künast Sterbehilfe
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Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Kern geht es um Selbstbestimmung. Das ist das, was uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes mitgegeben hat. Es hat im Februar 2020 klargestellt, dass aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – quasi als Ausdruck persönlicher Autonomie – das Recht auf selbstbestimmtes Sterben folgt und deshalb auch das Recht, sich dazu einer Hilfe zu bedienen. Deshalb hat es den damaligen § 217 StGB für nichtig erklärt, den wir hier intensiv diskutiert haben.
Einige haben gesagt: Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen Auftrag gegeben. – Nein, das hat es nicht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Wir als Bundestag könnten die Situation jetzt einfach so lassen. Denn der § 217 StGB ist nichtig, andere Dinge sind geregelt; die Tötung auf Verlangen ist strafbar. Nein, meine Damen und Herren. Die Frage ist, ob wir das wollen, ob wir als Bundestag uns mühen wollen, dazu einen Rahmen zu setzen, Schutzregeln einzusetzen.
Denn Tatsache ist: Nach dieser Entscheidung findet Beihilfe zur Sterbehilfe statt: Vereine beraten, Ärztinnen und Ärzte leisten Beihilfe. – Wir fragen uns aber an dieser Stelle: Gibt es eigentlich die notwendige Transparenz? Welche Mittel verschreiben die eigentlich? – Die Gruppe um mich, Katja Keul, Herrn Franke, Frau Scheer, Frau Bayram, Herrn Benner und andere sagt: Wir brauchen eine rechtseinheitliche Regelung, die im ganzen Bundesgebiet gilt. Wir brauchen Schutzmechanismen, Beratungen, Zuverlässigkeitsprüfungen und eine Transparenz. Deshalb sagen wir: Nein, wir können jetzt nicht sagen: „Wir regeln es nicht.“ Wir brauchen eine Regelung. Es ist unsere Aufgabe, und wir dürfen uns nicht davor drücken.
Das Bundesverfassungsgericht hat übrigens auch immer klar gesagt: Man darf nicht verhindern, dass es einen Weg gibt, in zumutbarer Weise sein Leben zu beenden. – Deshalb, meine Damen und Herren, geht es hier um die Fragen: Kriegt man gute Beratung durch Vereine – nicht irgendwelche, sondern zuverlässige? Hat man den Zugang zu Betäubungsmitteln, zum Beispiel zu Pentobarbital, zu dem auch Palliativmedizinerinnen und ‑mediziner sagen: „Das ist der zumutbare und geeignete Weg“, und der ist besser, als ein Mittel zu nehmen, bei dem Sie sich möglicherweise reflexartig erbrechen, obwohl Sie sterben wollen, und am Ende mit schweren Behinderungen daliegen? Das ist nicht würdevoll.
Wir alle haben gemeinsam eine Aufgabe. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren: Jeder Mensch hat dieses Recht in jeder Lebensphase.
(Beifall der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Zur Frage, wie man das regelt. Wir meinen, man sollte es nicht zu schwer machen. Deshalb gilt es, einen kritischen Blick auf das Vorhaben zu werfen, mit einer Strafvorschrift zu beginnen, die als Erstes beinhaltet: drei Jahre Freiheitsstrafe. – Wir meinen aber auch, man sollte es nicht zu leicht machen; denn in manchen Bereichen ist die Umsetzung schwierig. Vielleicht können wir auch nicht alles millimetergenau regeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. In manchen Bereichen ist es schwierig.
Wir haben zum Beispiel gesagt, Volljährige sollen den Zugang haben. Warum? Wir diskutieren gerne im Ausschuss noch darüber, ab welchem Alter. Aber: Ab welchem Alter ist jemand in der Pubertät trotzdem vom freien Willen beseelt und kann danach handeln? Was ist mit der Entscheidung der Eltern oder des Familiengerichts? Wie stehen die drei zueinander? Das ist schwierig, meine Damen und Herren.
Auf alle Fälle sollte es nicht zu schwer durch das Strafgesetzbuch werden; man sollte es aber auch nicht zu einfach machen. Und natürlich haben wir nicht das Recht, materielle Kriterien aufzustellen. Wir können Verfahrensvorschriften machen und sagen: Wir müssen sehen, dass es freiwillig ist, dass ein freier Wille besteht und dass die Fähigkeit gegeben ist, danach zu handeln. – Dann müssen wir den Weg zumutbar eröffnen, meine Damen und Herren. Dieser Weg muss heißen: Schutzvorschriften, Transparenzvorschriften, Zuverlässigkeit in den Vereinen, Fristen zwischen zwei Beratungen und Aufklärung über Wirkungsweisen.
Das ethische Dach für uns – wir haben es in § 4 unseres Gesetzentwurfs formuliert – ist ausdrücklich der „Grundwert jedes Menschenlebens“. Das ist der sozusagen ethische Punkt.
Ich will an dieser Stelle einmal konkret werden, wie wir es regeln möchten, meine Damen und Herren. Wir wollen, dass Volljährige Zugang haben; das habe ich gesagt. Unser Vorschlag umfasst zwei Wege, die wir für adäquat halten.
Weg eins: die Voraussetzung für den Zugang zu Betäubungsmitteln für Sterbewillige in medizinischer Notlage schaffen. Wir stellen uns vor, dass jemand in existenzieller Luftnot ist. Den kann ich nicht noch irgendwohin schicken. Vielmehr wollen wir der Person ermöglichen, mit den behandelnden Ärztinnen oder Ärzten das Gespräch zu führen – mit Regeln, wie das schriftlich darzulegen ist, mit Aufklärungs- und Dokumentationspflichten, mit einem zweiten Arzt oder einer zweiten Ärztin, der oder die unabhängig davon bestätigen muss, dass dieser freie Wille vorliegt und dass aufgeklärt wurde, meine Damen und Herren. Ich glaube, dass das angemessen ist, zumal wir in diesem Punkt beides haben, nämlich auch die Beratung über eine mögliche Schmerztherapie.
Der andere Weg umfasst bei uns den Zugang in allen anderen Fällen. Wir sagen: Es muss eine Behörde geben, gegenüber der man seinen Sterbewunsch glaubhaft darlegt, die Dauer darlegt und ein, zwei Fragen beantwortet.
Das Fazit, meine Damen und Herren, ist: Wir wissen, wir müssen nicht, aber wir können eine Schutzvorschrift schaffen. Dann sollten wir das auch tun. Für meine Begriffe ist es so, dass wir den Weg gehen sollten, dass die einen die Ärzte des Vertrauens kontaktieren können und dass die anderen einen offenen Zugang haben. Neben alldem würde ich sagen: Was wir wirklich sträflich vernachlässigt haben, ist der gesamte Bereich der flächendeckenden guten Versorgung mit Palliativ- und Hospizmedizin. Auch das sollten wir bei dieser Gelegenheit verändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Benjamin Strasser aus der FDP-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)