Rede von Lukas Benner Sterbehilfe

24.06.2022

Lukas Benner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, welches das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 abgeleitet hat, geht es nicht um individuelle Wertvorstellungen. Es geht nicht um eine Meinung für oder gegen die Suizidhilfe, sondern es geht um ein Grundrecht,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

ein Grundrecht, welches das Verfassungsgericht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet hat, ein Grundrecht, bei dem die Selbstbestimmung des oder der Einzelnen im Zentrum steht, und ein Grundrecht – so ehrlich müssen wir hier sein –, welches aktuell nicht ausreichend geschützt wird. Ich verstehe, dass Menschen sich in dieser Debatte schwertun, sie emotional führen oder das Ergebnis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht für sich gelten lassen möchten. Aber wir beraten hier und heute über nicht weniger als die Frage, wie wir in diesem Land ein Grundrecht schützen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Machen wir uns nichts vor: Die Beihilfe zur Selbsttötung findet statt – jetzt in diesem Moment, in rechtlichen Grauzonen, ohne die nötige Klarheit, ohne die Klarheit darüber, wie Betroffene und behandelnde Ärztinnen und Ärzte konkret geschützt werden. Wenn wir uns anschauen, dass es im Sinne des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung des Einzelnen ist, entsprechend dem eigenen Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, dann, meine Damen und Herren, können wir diesen Zustand so nicht belassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen habe ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Renate Künast, Katja Keul, Nina Scheer, Edgar Franke und vielen anderen einen Gesetzentwurf eingebracht, um diese Rechtslücke zu schließen. Wir wollen mit unserem Gesetz zum Schutz des selbstbestimmten Sterbens den Zugang zu Natrium-Pentobarbital unter Sicherstellung der Kriterien für einen autonomen, dauerhaften und ernsthaften Sterbewunsch ohne Einflussnahme Dritter regeln.

Dafür sehen wir ein allgemeines Verfahren vor. Es beginnt mit einem Antrag an eine nach Landesrecht zuständige Behörde. Anschließend folgen zwei Beratungstermine im Abstand von mindestens zwei Monaten, bei denen im Zentrum der Wert des Menschenlebens steht, die den Zweck haben, die Dauerhaftigkeit, die Ernsthaftigkeit, den freien Willen dieser Entscheidung festzustellen. Anschließend folgt bei Bejahung die Bescheinigung auf Herausgabe von Natrium-Pentobarbital. Anders handhaben wir es bei Menschen in medizinischer Notlage, aus dem Grund, dass wir da die prozessuale Notwendigkeit sehen, da sie ohnehin im Gesundheitssystem sind, diese Entscheidung auch dort zu treffen.

Was aber ist der Unterschied zwischen unserem Gesetzentwurf und den anderen beiden Gesetzentwürfen?

Fangen wir einmal an mit dem gerade von Kollegin Helling-Plahr vorgestellten Suizidhilfegesetz. Ich glaube, wir haben einige Gemeinsamkeiten, aber einer der größten Unterschiede liegt in der Zeitspanne. Im allgemeinen Verfahren sehen wir mindestens zwei Monate vor, um die Prüfung der Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit gewährleisten zu können. Ein weiterer großer Unterschied findet sich bei der Frage, wer die Kontrolle in diesem System übernimmt, wer in diesem Land Grundrechte schützt. Wir sagen: Es ist Aufgabe des Staates, und deswegen schalten wir die entsprechende Behörde ein. – Im anderen Entwurf sind es Private, also Ärztinnen und Ärzte, die diese Entscheidung zu tragen haben.

Viel größere Differenzen gibt es zum Entwurf des neuen § 217 StGB von Kollege Castellucci und anderen. Wir müssen noch einmal festhalten, dass grundsätzlich in diesem Land gilt, dass der Staat Rechte dann einschränken darf, wenn er dafür eine Grundlage hat und eine Abwägung getroffen hat. Der vorliegende Entwurf, so wie man ihn liest, kehrt das aber um: Man muss eine Rechtfertigung haben, um sein Grundrecht in Anspruch zu nehmen. Diese Umkehr ist doch eine Abweichung von unserer immer dagewesenen Grundrechtssystematik.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Schauen wir uns einen Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts an: „Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt ...“ Das heißt, es ist doch klar, dass das Schutzgut die Autonomie sein muss, es ist doch klar, dass es hier darum geht, diese Autonomie, die Entscheidung und den Suizid, zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Strafrecht ist der gänzlich falsche Ort, die Autonomie zu gewährleisten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werbe hier, ganz ehrlich, gar nicht dafür, dass Sie sich alle unserem Gesetzentwurf anschließen; denn darum geht es nicht. Diese Entscheidung, die wir alle gemeinsam zu treffen haben, ist für einige eine tief persönliche. Sie ist eine Entscheidung frei von Partei- und Fraktionsmeinung. Deswegen bitte ich Sie vor allen Dingen um eines: Setzen Sie sich mit der im Zentrum stehenden Frage auseinander: Wie wollen wir in diesem Land das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben schützen?

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Benner. – Nächster Redner ist der Kollege Patrick Schnieder, Gruppe „Castellucci und andere“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)