Rede von Dr. Sebastian Schäfer Steuern

Dr. Sebastian Schäfer
06.07.2023

Dr. Sebastian Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Demokratie lebt von der Diskussion, der Partizipation, den Ideen und dem Austausch der vielen. Demokratie lebt auch und vielleicht ganz besonders von der Opposition, einer guten, weil konstruktiven Opposition, einer Opposition, die sich nicht nur als Kontrollinstanz der Regierung versteht, sondern gute Vorschläge macht und ein kohärentes Zukunftsbild für Wirtschaft und Gesellschaft entwirft.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich hatte Sie bereits im April bei unserer Debatte zur Einbringung der Großen Anfrage gefragt, wie denn für Sie das wettbewerbs- und zukunftsfähige Geschäftsmodell unseres Landes aussieht.

(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Das hat doch Güntzler eben gesagt! – Gegenruf des Abg. Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Genau!)

Nach wie vor hören wir von Ihnen dazu nix.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Hä? – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Also, wer nix sagt, ist, glaube ich, die Regierung! Sonst niemand!)

Lediglich einen Punkt betonen Sie überall und repetitiv: endlich zielgerichtete Steuersenkungen auf den Weg bringen.

Aber Wettbewerbsfähigkeit, gute Arbeit, klimaneutraler Wohlstand, all das ist nicht nur eine Frage von Steuersenkungen.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Mal die Antwort der Bundesregierung lesen!)

Es ist auch eine Frage der Ausgestaltung des Bildungssystems, der Verfügbarkeit von Kapital und Ressourcen, von Arbeitsmarktregulierung oder von guter Infrastruktur. Es ist ein Zusammendenken von Wirtschafts-, Sozial- und Klimapolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich will mit zwei Mythen aufräumen, die Sie immer wieder erzählen. Ich fange mal an mit dem viel zitierten Mythos des Hochsteuerlands Deutschland.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Mythos? – Kay Gottschalk [AfD]: Haben Sie jetzt die Tabelle gedreht, oder was?)

Die Abgabenquote in Deutschland, also das Verhältnis der Steuern und Sozialabgaben zum BIP, lag bei 39,5 Prozent im Jahr 2021. Mit dieser Quote, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat Deutschland eine niedrigere Quote als Norwegen, die Niederlande, Finnland, Österreich, Italien, Belgien, Frankreich und Dänemark.

(Kay Gottschalk [AfD]: Wow! Echte Industrienationen!)

Deutschland liegt im Mittelfeld des westeuropäischen Durchschnitts.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Sebastian Brehm [CDU/CSU])

Darüber hinaus sind in dieser Zahl – also der OECD-Statistik, die Sie zitieren – drei essenzielle Aspekte nicht mitberücksichtigt: Erstens sind die indirekten Steuern wie die Umsatzsteuer nicht enthalten, die in Deutschland vergleichsweise niedrig sind.

(Michael Schrodi [SPD]: Sehr richtig! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Wollen Sie die erhöhen?)

Zweitens werden vielfältige Möglichkeiten, die in Deutschland gelten, um Kosten von der Steuer abzusetzen, nicht berücksichtigt. Und drittens werden keine vermögensbezogenen Steuern wie die Erbschaftsteuer oder die Steuer auf Kapitalerträge inkludiert, die in Deutschland sehr niedrig ausfallen. Wer also nur auf die Einkommensteuer und die Sozialbeiträge kalibriert, der hat schlecht recherchiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Kay Gottschalk [AfD]: Eine Kassiererin hat echte Abschreibungsmöglichkeiten! Ich sehe das auch so!)

Der zweite Mythos: Steuereinnahmen auf Rekordniveau. Dazu ein paar Zahlen: Von 1966 bis 2016 wurden in Deutschland in 43 von 51 betrachteten Jahren Steuerrekordeinnahmen verbucht. In Luxemburg und Belgien war dies in 50 von 51 Jahren der Fall, in Frankreich und Großbritannien in 49 von 51 Jahren. Steuerrekorde, wie Sie es nennen, sind schlicht ein Ausdruck einer normalen volkswirtschaftlichen Entwicklung. Wenn die Wirtschaft wächst, wenn die Preise steigen,

(Kay Gottschalk [AfD]: Inflationsgetrieben!)

wenn man keiner Wirtschaftskrise, Rezession oder Deflation gegenübersteht,

(Kay Gottschalk [AfD]: Kalte Progression!)

dann sind steigende nominale Steuereinnahmen schlicht Ausdruck von Wirtschaftswachstum und Preisentwicklung. Betrachten wir die Steuereinnahmen relativ zum BIP, also die Steuerquote, dann kann ich nicht nachvollziehen, wo Sie Rekorde erkennen. Zurückgerechnet bis 1965 befinden wir uns im absoluten historischen Durchschnitt der Steuereinnahmen in Deutschland relativ zur Wirtschaftsleistung.

(Kay Gottschalk [AfD]: Da waren die Sozialabgaben auch geringer! Die haben Sie jetzt wieder vergessen in Ihrer Statistik!)

Und ich erinnere Sie gern daran, was wir als Ampel im letzten Jahr umgesetzt haben: Wir haben Entlastungspakete in Milliardenhöhe für die Bürgerinnen und Bürger geschnürt wie niemals zuvor.

(Beifall der Abg. Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich spare mir an dieser Stelle die Aufzählung der einzelnen Maßnahmen. Das Inflationsausgleichsgesetz entlastet rund 48 Millionen steuerpflichtige Bürgerinnen und Bürger – Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Selbstständige, selbsthaftende Unternehmerinnen und Unternehmer. Ich hätte mir da auch eine stärkere Konzentration auf kleinere und mittlere Einkommen vorstellen können; aber so ist es halt in einer Koalition.

(Kay Gottschalk [AfD]: Hätten Sie doch den Grundfreibetrag erhöht! Wollten Sie ja nicht!)

Mit der 11. Novelle des GWB stärken wir den fairen Wettbewerb. Davon werden kleinere und mittlere Unternehmen profitieren. Selbst wenn keine Ludwig-Erhard-Büste mehr im Wirtschaftsministerium steht: So schaffen wir Vertrauen in die sozial-ökologische Marktwirtschaft – Vertrauen, das wir als demokratische Parteien dringend wieder stärken müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Herbrand [FDP] – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: War das jetzt Kritik? -Kay Gottschalk [AfD]: Ich möchte lieber eine soziale Marktwirtschaft!)

Das Gegenteil von zukunftsfähiger Politik ist die Beibehaltung von Fehlanreizen für klimaschädliches Verhalten und die Förderung fossiler Abhängigkeiten. In einer funktionierenden Marktwirtschaft müssen Preise auch die ökologische Wahrheit abbilden. Steuerliche Subventionen für Diesel, für Kerosin, für manche Dienstwagensegmente – an manchen Stellen befördert unser Steuerrecht die Klimakrise. Hier kann gute Ordnungspolitik ansetzen. Eine aktuelle Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft

(Kay Gottschalk [AfD]: Stehen die den Grünen nahe? Ist doch einer Ihrer Lobbyvereine! Ist von denen einer Staatssekretär?)

hat gerade Wege aufgezeigt, wie sich Klima- und Finanzpolitik sinnvoll verzahnen und sich Gegensätze auflösen lassen. Der Abbau umweltschädlicher Subventionen ist keine Steuererhöhung, sondern die Korrektur ordnungspolitisch falscher Anreize.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben viel zu tun im Steuerrecht. Wir haben viel zu tun bei der Modernisierung unserer Finanzverwaltung. Eine stärker digitalisierte Steuer- und Finanzverwaltung hätte zum Beispiel eine zielgenauere Auszahlung der Energiepauschalen aus dem letzten Jahr ermöglicht.

(Kay Gottschalk [AfD]: Man sollte schon wissen, wovon man redet, Herr Kollege!)

Die Hilfen hätten so auch sehr viel schneller erfolgen können. Auch deshalb brauchen wir die Verknüpfung von Steuer-ID und den Bankdaten der Bürgerinnen und Bürger. Auch für unsere Unternehmen sind eine moderne Verwaltung und ein agiler Standort relevant. Deswegen müssen wir an dieser Stelle besser und schneller werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)