Rede von Sascha Müller Steuern
Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir kommen zurück zum Thema. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über einen Antrag der Union ab, der im letzten Oktober eingebracht wurde. Seitdem ist über ein halbes Jahr vergangen. Die Welt hat sich weiterentwickelt. Damit könnte die Debatte eigentlich zu Ende sein. Sie hätten den Antrag ja auch zurückziehen können; aber gut.
In Ihrem Antrag argumentieren Sie mit hoher Inflation.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Nee! Mit Bürgergeld argumentieren wir!)
Wir hatten zuletzt mit 2,2 Prozent so niedrige Inflationsraten wie seit Mai 2022, also seit zwei Jahren, nicht mehr. Die Preise für Energie waren im Sinkflug und sind inzwischen auf einem Normalmaß angekommen.
(Alois Rainer [CDU/CSU]: Nein!)
Die Lage ist heute deutlich anders, als der Antrag darstellen möchte.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Da haben die Bürger, glaube ich, ein anderes Gefühl, wenn sie einkaufen gehen am Wochenende!)
Sie ist hinsichtlich der Inflation schlichtweg besser, sogar sehr viel besser – und das trotz eines weiter anhaltenden großen externen Schocks, eines Krieges in Europa.
(Zuruf des Abg. Albrecht Glaser [AfD])
So falsch kann die Politik dieser Bundesregierung und dieser Koalition also nicht gewesen sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])
Ihr Antrag wirkte schon damals aus der Zeit gefallen, weil sich diese Entwicklung bereits im letzten Herbst abgezeichnet hat. Heute ist er es erst recht.
Sie argumentieren weiter mit der Anpassung des Bürgergeldes in diesem Jahr. Lassen Sie uns mal zurückschauen! Wir haben hier in diesem Hohen Haus lange und intensiv über die Reform des Bürgergeldes debattiert. Auch im Vermittlungsausschuss wurde darum gerungen. Kürzlich haben wir noch einmal am Gesetz gearbeitet. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass eines bei all dem nicht umstritten war. Kollege Stephan Stracke hat sogar hier an diesem Pult in der abschließenden Debatte zum Bürgergeld am 10. November 2022 gesagt – ich zitiere –: „Wir befürworten eine schnellere Anpassung der Regelsätze an die Teuerungsrate.“
(Markus Herbrand [FDP]: Ach?)
Sie hatten vorgeschlagen, die Erhöhung des damaligen Arbeitslosengeldes II zu beschließen; „denn“ – wieder Zitat – „die Betroffenen brauchen Sicherheit“. Als dann der Vermittlungsausschuss zum Bürgergeld getagt hatte, haben Sie dem Ergebnis zugestimmt. Sie haben die Anpassung selber mitbeschlossen, und das war richtig, eben weil die Inflation sehr hoch war, nicht zuletzt bei Nahrungsmitteln und Energie. Das betrifft besonders die kleinsten Einkommen. Stattdessen argumentieren Sie nun wieder und wieder, dass diese Bürgergeldanpassung nicht vermittelbar wäre. Sie waren damals mit im Boot. Statt Stimmung gegen Menschen zu machen, die in einer ohnehin sehr belastenden Lebensphase sind, ist es eigentlich an der Zeit, die Debatte zu versachlichen. Ich finde, das liegt durchaus auch in Ihrer Verantwortung; denn Sie haben dem ja zugestimmt.
Nun zu Ihrem Ansinnen, die Steuerfreibeträge im gleichen Maß wie die Bürgergelderhöhung anzupassen. Natürlich werden wir im Rahmen des rechtlich Notwendigen handeln. Die Familien zu entlasten, und zwar gezielt, das wäre wichtig, und zwar speziell Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen. Wenn Sie aber beantragen, den Kinderfreibetrag zu erhöhen, und damit den Anschein erwecken, Sie würden die „arbeitende Mitte“, wie es in der Überschrift Ihres Antrags heißt, entlasten, dann ist das so nicht ganz richtig. Tatsächlich kommt das vor allem den Beziehern oberer Einkommen zugute. Die Wirkungsweise des Einkommensteuertarifs ist uns allen hier bekannt. Nur bei den oberen Einkommen kommt der Kinderfreibetrag gegenüber dem Kindergeld zum Tragen. Das kann man ja wollen und für richtig halten,
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Deswegen soll auch das Kindergeld erhöht werden! Steht doch im Antrag!)
aber dann sagen Sie das bitte auch so, und reden Sie nicht bewusst verschleiernd von der „arbeitenden Mitte“.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zu guter Letzt. Wir haben hier Ende 2022 in einem breiten Konsens das Inflationsausgleichsgesetz verabschiedet. Alle Kinder sollten die gleiche Wertschätzung erfahren. Deshalb ist meiner Fraktion und mir persönlich bis heute sehr wichtig, dass alle Kinder gleich viel Kindergeld erhalten.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Kinderreiche Familien haben höhere Ausgaben!)
Das erste und das zweite Kind haben den gleichen Anspruch wie das dritte und das vierte Kind und alle weiteren. Am Ende waren wir uns hier einig: So verändern wir gemeinsam das Leben zum Besseren für viele Familien. – Sie haben gemeinsam mit uns auch für dieses Gesetz gestimmt.
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Weil wir eine konstruktive Opposition sind!)
Und nun? Sie befürworten, wieder einen Unterschied zwischen den ersten beiden und den weiteren Kindern zu machen. Das jedenfalls beantragen Sie an dieser Stelle.
Noch mal zusammengefasst. Sie kritisieren die Höhe des Bürgergeldes, die Sie selbst mitbeschlossen haben, und Sie kritisieren die Höhe des Kindergeldes, die Sie selber mitbeschlossen haben. Und wenn ich mich an die bereits angesprochene Aktuelle Stunde von gestern erinnere, dann kann ich feststellen: Sie kritisieren heute auch den Atomausstieg, den Sie einst selber mitbeschlossen haben.
(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Zeitenwende!)
Ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie früher oder später – aus meiner Sicht gerne auch später – wieder regieren wollen, dann sollten Sie Verantwortung für das übernehmen, was Sie selbst mitbeschlossen haben. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und es hat etwas damit zu tun, dass die Menschen wissen wollen, woran sie sind, wenn sie Ihnen wieder die Verantwortung übertragen sollten. Man regiert nicht verantwortungsvoll, wenn man Politik immer nur danach ausrichtet, was gerade stimmungsmäßig opportun erscheint. Das schafft eben kein nachhaltiges Vertrauen. Daraus entsteht keine konsistente Politik. Das ist nur noch Flipflop.
(Zuruf des Abg. Johannes Steiniger [CDU/CSU])
So kann und sollte man jedenfalls nicht verantwortungsvoll regieren.
Die Kolleginnen und Kollegen der FDP werden mir sicher nachsehen oder sich vielleicht auch freuen, wenn ich hier zum Schluss Walter Scheel zitiere, der bekanntlich einmal sagte:
„Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sehr gut! – Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Daran scheitert die Ampel!)
In diesem Sinne rate ich Ihnen: Weniger Flipflop nach Art eines Markus Söder, mehr nach diesem Satz von Walter Scheel, dann klappt es auch mit gutem Regieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wir freuen uns über das Zitat!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Alois Rainer das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)