Rede von Sascha Müller Steuernachzahlung für Kurzarbeiter*innen

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

07.04.2022

Sascha Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gäbe es das Kurzarbeitergeld nicht, man müsste es erfinden. Zahlreiche Beschäftigungsverhältnisse konnten während der Coronapandemie erhalten bleiben, eben weil es das Kurzarbeitergeld gibt. Auch ich war zu Anfang der Coronapandemie in Kurzarbeit, wenn auch nicht, wie in anderen Branchen, zu 100 Prozent, sondern nur mit reduzierter Arbeitszeit. Für mich als Sportjournalist gab es nun mal weniger zu tun, als alle Sportveranstaltungen abgesagt wurden, die Bundesliga komplett aussetzen musste, die Werbeeinnahmen ausblieben.

In der Redaktion haben wir in dieser Zeit genau darauf geachtet, nicht länger zu arbeiten, als es die strengen Regeln der Kurzarbeit erlaubten, was bei einer journalistischen Tätigkeit gar nicht so einfach ist: Artikel müssen recherchiert, mit Informanten muss gesprochen werden, Interviews müssen redigiert und autorisiert werden. Manches geführte Interview konnte, wie ich aus anderen Ressorts weiß, daher gar nicht erscheinen. Insgesamt waren wir aber froh, unseren Beruf weiter ausüben zu können; denn die demokratische Öffentlichkeit braucht guten Journalismus, und auch Journalismus ist systemrelevant.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD])

Woran wir sicherlich seinerzeit überhaupt nicht gedacht hatten, war der Progressionsvorbehalt. Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld bedeutet – es ist bereits gesagt worden –, dass das Kurzarbeitergeld zwar steuerfrei ist, der gezahlte Betrag aber zur Ermittlung des Steuersatzes auf das eigentliche Erwerbseinkommen herangezogen wird. Oft ergeben sich dadurch Steuernachzahlungen – ja –, aber das ist nicht zwingend. Es könnte auch der gegenteilige Effekt eintreten.

Zugegeben: Emotional kann ich das Anliegen des vorliegenden Antrags aus der Fraktion der Linken durchaus nachvollziehen. Natürlich ist es ärgerlich, wenn du zuerst staatliche Hilfe bekommst und dann zeitverzögert über die Einkommensteuer wieder was zurückzahlen sollst, obwohl das Kurzarbeitergeld doch eigentlich steuerfrei ist. Hier könnte der Eindruck einer gefühlten Ungerechtigkeit entstehen. Was aber passieren würde, wenn wir dem vorliegenden Antrag folgen würden, wäre: Wir würden aus einer vielleicht gefühlten Ungerechtigkeit eine tatsächliche Ungerechtigkeit machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Unter Ziffer 2 des vorliegenden Antrags streichen Sie die Notwendigkeit, nach der Kurzarbeit eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Nun, für viele Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bliebe diese Notwendigkeit dennoch erhalten, zum Beispiel, wenn sie einen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung gestellt haben oder bei Verheirateten, wenn sie die Steuerklassen III und V gewählt haben, die es für den im Antrag genannten Zeitraum ja noch gibt. Wie Sie ja wissen, wollen wir als Ampel da ran.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ganze wird auch nicht besser, wenn Sie den Progressionsvorbehalt unter Ziffer 1 des Antrags ganz streichen. Damit hebeln Sie – auch das ist schon gesagt worden – den Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit aus, und Sie verschärfen den Unterschied – damit sorgen Sie vielleicht auch für eine weitere gefühlte Ungerechtigkeit – zwischen jenen, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Hilfen in Form von Kurzarbeitergeld erhalten haben, und etwa Soloselbstständigen, die ihre Überbrückungs- oder Neustarthilfen – das sind andere Instrumente, klar; aber dennoch nenne ich sie – nicht nur mit Progressionsvorbehalt, sondern sogar insgesamt versteuern müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Nebenbei: Eine bessere Absicherung, eine Art von Kurzarbeitergeld für Soloselbstständige, wäre mal eine Überlegung wert. Aber das nur am Rande.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, das rückwirkende Streichen des Progressionsvorbehalts für die Jahre 2020 bis 2022, wie im Antrag gefordert, kommt für uns in der Tat nicht infrage. Die damit einhergehenden Steuerentlastungen wären zudem – und darauf kommt es gerade heute, zu dieser Zeit, besonders an – noch nicht einmal zielgerichtet. Für mich – ich glaube, für meine damaligen Kolleginnen und Kollegen ebenso – war der sich ergebende höhere Steuersatz kein wirkliches Problem. Wenn sich Steuernachzahlungen ergeben haben, dann haben wir diese Steuern gerne gezahlt, damit der Staat sich um die Hilfen für die wirklich betroffenen Branchen und beispielsweise auch um Kunst- und Kulturschaffende kümmern konnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich – Sie hätten ja Vorschläge machen können; das haben Sie aber leider nicht gemacht – könnte man darüber nachdenken, wie diese eingangs erwähnte gefühlte Ungerechtigkeit in der Zukunft abzumildern wäre. Das ist vielleicht auch eine Frage der Kommunikation. Da sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Sie hätten beispielsweise einen Freibetrag, ab dem der Progressionsvorbehalt erst gilt, beantragen können. Das haben Sie leider nicht gemacht. Man hätte natürlich darüber nachdenken können: Was könnte man in der Zukunft ändern, um einerseits die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zu erhalten und andererseits die böse Überraschung einer Steuernachzahlung für die Betroffenen zu vermeiden – das wird schwer gehen – oder aber vielleicht zumindest zu minimieren?

Das haben Sie mit dem vorliegenden Antrag aber nicht getan, und deshalb können wir uns auch nicht mit ihm anfreunden. Aber wir freuen uns auf die weitere Diskussion im Ausschuss.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als nächste Rednerin erhält für die AfD-Fraktion Gerrit Huy das Wort.

(Beifall bei der AfD)