Rede von Erhard Grundl Stiftung „Orte der Demokratiegeschichte“

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09.06.2021

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Triumph der Menschenrechte über Rassismus, als Triumph der Demokratie über den Terror hat der israelische Bildhauer Dani Karavan einmal sein Werk „Straße der Menschenrechte“ in Nürnberg bezeichnet. Ihm, dessen Familie der nationalsozialistischen Vernichtung zum Opfer fiel, verdanken wir auch das Kunstwerk „Grundgesetz 49“ in Sichtweite vom Reichstagsgebäude an der Spree und der früheren Mauer. Die Glasplatten mit den 19 ersten Artikeln des Grundgesetzes, den Artikeln, die der Ewigkeitsklausel unterliegen, ersetzen einen Zaun und verbinden in ihrer Transparenz den Souverän und seine Mandatsträger/-innen. Ganz im Sinn von Hannah Arendt, die Demokratie als „aktive Mitbestimmung öffentlicher Angelegenheiten“ verstanden wissen wollte, zeigt Karavan Demokratie als Angelegenheit aller Bürgerinnen und betont ihre unbedingte Verbindung mit den Menschenrechten, so auch in seinem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma.

Meine Damen und Herren, Demokratie braucht Orte wie diese von Karavan geschaffenen. Sie braucht Orte der Erinnerung, der Reflexion, der Begegnung, der Identifikation, auch des Triumphs der Menschenrechte. Sie braucht sie überall im Land. Dann ist Demokratie widerständig, wenn sie gelebt wird, wenn sie mit Händen zu greifen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die große Kunst des jüngst verstorbenen Karavan legt uns die Zukunft der Menschenrechte und der Demokratie ans Herz, eindringlich und voller Hoffnung. Es ist gerade das Fehlen von Eindringlichkeit, von innerer Leidenschaft, die fehlende Ansprache an die Jugend, an künftige Demokratinnen und Demokraten, die Ihrem Gesetzentwurf bei aller positiver Grundhaltung die Bleischuhe anzieht. Das kritisieren wir.

Sie konzentrieren sich auf namhafte Orte und große Bauten besonders im Westen und besonders aus dem 19. Jahrhundert. Dabei ist Demokratie dann stark, wenn sie sich nicht auf Repräsentation konzentriert, sondern wenn sie zur Teilhabe anregt. Und es stimmt: Wenn die Demokratiegeschichte von uns Deutschen je vorbildhaft gewesen ist, dann in der Friedlichen Revolution. Im Gesetzentwurf bleibt das blass. Da bleiben Sie blass und mutlos und würdigen die ostdeutsche Demokratieerfahrung eben nicht in ihrer tatsächlichen Bedeutung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade zum Thema Friedliche Revolution entwickelt Ihr Konzept keine Perspektive für die Zukunft. Weitere Orte wären einzubeziehen. Ja, man muss sie nennen, etwa die Gründungstreffen des Neuen Forums in Grünheide, die Schülerproteste an der Geschwister-Scholl-Oberschule in Anklam im September 1961, die Demonstrationen am 1. September 1989 zum Weltfriedenstag auch in kleineren Städten wie Neuruppin und Forst bei Cottbus, die Demonstrationen in Rostock ab dem 5. Oktober 1989. Vorhandene Institutionen wie die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße und das Leipziger Ensemble aus Nikolaikirche und Runder Ecke sollten in den Gesetzentwurf und das Konzept aufgenommen werden.

Orte der Erinnerung, der Reflexion, der Begegnung, der Identifikation, Orte des Triumphs der Demokratie und der Menschenrechte: Das alles finden wir leider nicht in ausreichendem Maße. Deshalb werden wir uns enthalten. Nehmen Sie unsere Enthaltung als Aufforderung, die Bleischuhe auszuziehen und mehr Verve an den Tag zu legen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Grundl. – Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)