Rede von Helge Limburg Straßenblockaden und Proteste in Museen

Helge Limburg MdB
10.11.2022

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner, zum einen ist Ihre Behauptung, meine Fraktion oder Partei hätte Wurzeln im Terrorismus, verleumderisch und abwegig.

(Stephan Brandner [AfD]: Die ist richtig! Herr Trittin!)

Zum Zweiten, Herr Brandner, ist es sehr bezeichnend, dass Sie in Zeiten, in denen in diesem Land wieder Wohnheime von Geflüchteten angezündet werden, in denen Menschen, die aus der Ukraine zu uns flüchten und Schutz suchen, von rechtsextremen Gewalttätern bedroht werden, die sich durch Ihre Parolen ermutigt und bestärkt fühlen, versuchen, gegen die Klimabewegung zu hetzen. Damit lenken Sie von den Untaten ab, die Ihrer Ideologie entwachsen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2021 kamen insgesamt zehn Radfahrerinnen und Radfahrer im Berliner Straßenverkehr ums Leben, 2022 bislang neun, darunter die Person, die jüngst von einem Betonmischer überfahren wurde. Das sind nicht nur erschreckende Zahlen, das sind Menschen, die aus dem Leben gerissen wurden und die Angehörige in tiefer Trauer hinterlassen. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Wenn öffentlich darüber gesprochen wird, welche Konsequenzen aus diesen Unfällen zu ziehen sind, dann ist Pietät gefragt. Und ich kann in der Tat gut nachvollziehen, dass die Schwester der jüngst überfahrenen Radfahrerin diese Pietät, ein Mindestmaß an Mitgefühl bei einigen öffentlichen Äußerungen der Gruppe „Letzte Generation“ vermisst hat. Angehörige von Toten sollten nicht noch durch Äußerungen verletzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Union hat hier in diesem Hohen Hause keinen der von mir genannten 18 anderen Todesfälle von Radfahrerinnen und Radfahrern in Berlin zum Anlass einer parlamentarischen Debatte gemacht. Keinen!

(Stephan Brandner [AfD]: Heucheln, ohne rot zu werden!)

Dabei gäbe es viel zu diskutieren: von baulichen Maßnahmen an Kreuzungen zum Schutz von Radfahrerinnen und Radfahrern bis hin zu verpflichtenden Abbiegeassistenten an Lkws, einer effektiven Durchsetzung des Verbots des Parkens in zweiter Reihe oder einem Gebot für Rettungsgassen. All diese Debatten haben Sie von der Union nicht geführt. Nichts haben Sie für den Schutz von Radfahrerinnen und Radfahrern getan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU])

Aber jetzt, Frau Lindholz, wo Sie einen Weg sehen, den Tod einer Radfahrerin einer für Sie – aus Ihrer Sicht – politisch missliebigen Gruppe unterzuschieben, fahren Sie diese Kampagne und diesen Antrag hier auf. Das ist durchsichtig und gleichzeitig schäbig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Hier geht es um Museumsrandalierer! Lesen Sie mal den Antrag! – Zuruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Um das klar zu sagen – Frau Mihalic hat es auch schon zurecht betont –: Protest darf keine Menschenleben gefährden. Punkt. Da sind wir ganz klar.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Und sonst alles, oder?)

Aber man sollte auch nicht pauschal behaupten, dass er das tut, ohne die Fakten im Einzelfall zu betrachten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Wenn man – Frau Mihalic hat es bereits ausgeführt – Ihrem Antrag folgen würde, dann würde jede angemeldete legale friedliche Demonstration – auch die Trecker-Demonstration, die Sie ausdrücklich unterstützt haben – in Sorge darum sein, ob ihre Teilnehmer nicht haftbar gemacht werden für durch sie blockierte Rettungswege. Eine solche verfassungswidrige Einschränkung der Versammlungsfreiheit machen wir nicht mit.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Falsch! Einfach falsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Union so hört, könnte man meinen, der Rechtsstaat sei ein Holzhammer, der bedrohlich über den Köpfen der Menschen schweben soll und sie quasi an politisch unerwünschtem Verhalten hindern soll. Das Gegenteil ist der Fall: Der Rechtsstaat muss vor Willkür und vor Übermaß schützen. Der Rechtstaat muss für die Angemessenheit staatlicher Maßnahmen einstehen. Im Rechtsstaat obliegt die abschließende juristische Bewertung von Handlungen den Gerichten und nicht der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagfraktion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Hier sitzt der Gesetzgeber! Das ist das deutsche Parlament! Unglaublich!)

Um es klar zu sagen: Das Beschmieren der Glasscheibe vor einem Gemälde mit Kartoffelbrei finde ich unanständig, überflüssig – und es spielt natürlich mit der Sorge um dieses Kunstwerk, es spielt mit den Ängsten der Menschen um ein unwiederbringliches Kunstwerk. Aber es ist keine Sachbeschädigung, weil es die Substanz eben nicht beschädigt, egal was Sie in Ihre Anträge schreiben.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Sie werden zerstört! Wahnsinn!)

Ob das Blockieren einer Straße jedes Mal eine rechtswidrige Nötigung darstellt – Sie haben es selber gesagt, Herr Krings –, das wird sehr unterschiedlich bewertet. Es gab Verurteilungen, es gab aber in der Tat auch Freisprüche. Insofern gilt – Frau Eichwede hat es gesagt –: Vertrauen wir doch dem Rechtsstaat! Vertrauen wir der Justiz! Unterstellen wir nicht dauernd, wie die Union das tut, dass sie zu milde Sanktionen verhängen würde, sondern stärken wir die Gerichte in ihrer Unabhängigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Klimaschutz ist nicht nur das Anliegen verschiedenster Aktivistinnen und Aktivisten auf der Straße, sondern es ist ein Verfassungsauftrag; das hat das höchste deutsche Gericht festgestellt. Wir nehmen diesen Auftrag an. Wir wollen ihn auf parlamentarischem Wege mit demokratischen Mitteln hier voranbringen. Die Unionsfraktion ist herzlich eingeladen, –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– ihre Blockadehaltung gegen den Klimaschutz aufzugeben und uns dabei zu begleiten. Aber wir werden notfalls auch ohne Sie voranschreiten und diesen Verfassungsauftrag erfüllen, die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu wahren und zu schützen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dafür sind wir hier.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ingmar Jung ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)